Online-Boom: Hört nur, wie sie zetern und jammern!

Schon bitter, wie sich der deutsche Einzelhandel gerade der Öffentlichkeit präsentiert! Hier nur ein paar Aussagen und Zitate der letzten vier Wochen:

"Vor uns liegt ein nicht minder schweres Geschäftsjahr" (Hans-Otto Schrader, Vorstandsvorsitzender der Otto Group, bei der Vorstellung der Geschäftszahlen am 3.4.2012)

Die Geschwindigkeit der Veränderungen sei im Elektronikbereich dramatischer ausgefallen als erwartet. (Olaf Koch, Vorstandsvorsitzender der Metro Group, bei der Vorstellung der Geschäftszahlen am 20.3.2012)

"Wir konkurrieren heute mit Händlern, die kein Geld verdienen müssen" (Andreas Bartmann, Geschäftsführer bei Globetrotter in der FTD am 10.4.2012)

"Unterschätzt hat die gesamte Buchbranche allerdings das Tempo des Veränderungsdrucks" (Jürgen Könnecke, scheidender Thalia-Eigner in seinem Ausstiegsinterview am 27.3.2012)

2012 wird das Schicksalsjahr für eine ganze Reihe von Branchen – allen voran für den Versandhandel. Neckermann steht ohnehin weiter auf der Kippe. Aber auch die Otto-Gruppe hat 2011 eine bittere Bilanz gezogen und darf sich nun entscheiden, welche der darbenden Altversender über 2012 hinaus durchgefüttert werden.

Auch die Manager im Buchhandel und im Elektronikhandel geraten nun plötzlich ins Rotieren und tun nach Jahren selbstgefälliger Überheblichkeit gerade so, als ob das Internet erst gestern erfunden worden wäre und Amazon aus dem Nichts aufgetaucht wäre.

Bvhzahlen2011hs11

Das große Weh und Ach der Branchenfürsten kommt zu einem Zeitpunkt, da das Online-Geschäft brummt und der bvh für den Versandhandelsmarkt das höchste Wachstum seit Jahren meldet.

Gleichzeitig wird nun das Feindbild der unfähigen Onliner heraufbeschworen, die verantwortungslos wirtschaften und "kein Geld verdienen müssen", ganz so, als ob im Einzelhandel jede Filiale von Tag 1 an schwarze Zahlen schriebe und als ob die Stationären zu ihren Zeiten die vielen, kleinen Fach- und Einzelhändler nicht auf ähnliche Art und Weise vom Markt verdrängt hätten.

Das Lamentieren und wilde Umsichschlagen soll ablenken von dem, was man in all den Jahren versäumt hat, als man sich in Pressemeldungen mit Belanglosigkeiten selbst beweihräuchert hat und auf den Branchenkongressen selbst für banalste Aktivitäten selbstzufrieden auf die Schultern klopfen durfte.

Keiner hat seine Online-Hausaufgaben gemacht, keiner der Top-Manager weiß wirklich, wie Online-Handel funktioniert geschweige denn, welche Umwälzungen Netzwerke für den Handel bringen. Stattdessen hat man sich von Heerscharen von Beratern nach dem Mund reden lassen und sich in sämtliche Fallen locken lassen, die es gibt.

Die Onliner kennen ihr Geschäft. Sie können mit ihrem Kompetenzvorsprung das bevorstehende Gemetzel im Einzelhandel nun gelassen verfolgen, sich die besten Handelsspezialisten herauspicken und in aller Ruhe abwarten, bis im Zuge der Marktbereinigung (nicht nur) die Immobilienpreise soweit gesunken sind, dass sie dann nicht nur online, sondern auch stationär mit zeitgemäßen Verkaufskonzepten durchstarten kann.

So bitter die Zeiten für die einen werden, so spannend und chancenreich bleiben sie für die anderen.

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Kategorien:Shopboerse, Ultimondo

1 Antwort

  1. OK, zwar etwas drastisch formuliert. Ich kann dem Inhalt aber doch einiges abgewinnen.
    +1 für den Absatz mit „keiner der Top-Manager weiß wirklich, wie Online-Handel funktioniert“!

  2. Eine weitgehend treffende Analyse.
    Bleiben Sie weiter so erfrischend „frech“!

  3. Interessanter Hinweis auf die Immo-Preise. Auf die „zeitgemäßen Verkaufskonzepte“ bin ich gespannt, insbesondere wie die Themen „offline-Affiliate“, „Franchise“ oder „Kommission“ eine Rolle spielen werden.

  4. ich kann dieser Ausführung nicht vollständig zustimmen. Richtig ist, dass die „Onliner“ ihre Hausaufgaben häufig besser gemacht haben. Aber auch die meisten Konzepte der Onliner sind zwar hoch im Umsatz, aber erschreckend gering in der Rendite. Die Bewertung dieser Modelle basiert nur auf Sicherung von zukünftigen Marktanteilen (Traffic, Kundenstamm) und nicht auf heute messbaren harten betriebswirtschaftlichen Fakten. Ich bin gespannt wie viele Konzepte tatsächlich noch in zehn Jahren existent sind, damit meine ich nicht Erfolgskonzepte wie z.B. Amazon. Sondern die vielen kleinen und mittleren Neugründungen. Auch der Onlinehandel wird mittelfristig Erträge erzielen und somit die Spielregeln verändern müssen.

  5. Interessant ja, aber auch ich kann nicht voll zustimmen. Wir sind seit fast 2 Jahrzehnten stationär erfolgreich, und seit 5 Jahren online. Und ja doch, es gibt zahlreiche unfähige Onliner, die als Hobby-, Feierabend-, Nebenbeiverkäufer die jeweiligen Produktsegmente schädigen, weil sie ihre Kostenstruktur gar nicht überblicken. Und auch bei den großen, umsatzstarken Playern wundert es uns zunehmend, wieviel Geld von Investoren für „zukünftige Erträge“ eingesammelt wird. Das erinnert doch teils schon sehr stark an den „Neuen Markt“.

  6. In dem Zusammenhang würde mich dann tatsächlich interessieren, ob die so gelobten Unternehmen (nicht nur die Hobbyverkäufer) wie zum Beispiel mymüsli bislang einen Euro verdient haben (Kennt da eigentlich jemand Zahlen?).
    Ich will ja nichts schlecht reden, aber manche Konzepte, z.B. der grade laufende Hype um Abomodelle, die eigentlich schon Jahre alt sind (getsox ist wie alt – 12 Jahre?) sind wohl deutlich überbewertet.
    Aber ich freue mich, dass unsere Branche so gut dasteht ;-)

  7. Und es wäre auch zu kurz gegriffen, wenn man nur die fehlende Innovation in den Vertriebs-Konzepten der „klassischen Händler“ bemängeln würde. Die Prozesskosten sind heute häufig viel zu teuer, hier fehlen ebenfalls Revolutionen. Ebenso Klassiker wie die Versankostenfreiheit, die häufig auch eine Teilschuld an der schwachen Rendite trägt.
    Neuen Markt: genau mein Reden. Bedingt durch die wachsenden Investitionen in den Onlinehandel, ist der Markt mittelfristig zur Rendite gezwungen – alleine wegen der Kapitaldienstfähigkeit. Wenn diese nicht erzielt wird, dann werden automatisch mittelfristig auch die Investitionen rückläufig sein. Vor allem werden die Investitionen häufig nur zur Deckung der direkten Verluste verwendet und das ist mittelfristig gefährlich. Aktuell scheint es so, dass in diesem Segment nicht der Ebit bewertet wird, sondern nur ein gefühlter immaterieller Firmenwert. Sehr kritisch.
    Der Markt ist zum deutlichen Wachstum gezwungen, nur so werden Investoren auch weiterhin ausreichend Kapital zur Deckung der Verluste zur Verfügung stellen. Spannend wird es wenn die Sättigung einsetzt, oder die ersten Investoren feststellen, dass die Rendite nicht ausreicht um die Kapitaldienste zu decken.
    Was ist schon Innovation. Sind preisgetriebene Modelle, die zwar einen hohen Traffic generieren, aber keine Rendite erzielen, innovativ?

  8. Der etablierte Handel sollte aber nicht drauf vertrauen, dass sich die defizitären Online-Modell irgendwann tot laufen, das wird nicht passieren. Selbst, wenn der ein oder andere verschwindet, werden kurze Zeit drauf die 10 nächsten dastehen und weitermachen. Nur die Kunden werden weiter und immer mehr online kaufen.

  9. Genau darum gehts doch: Wer hat den längeren Atem? Natürlich passiert auch online viel Schwachsinn. Nur bringt einen das Lamentieren nicht weiter.
    Man muss doch zumindest herausfinden wollen, wie der Online-Markt tickt, und wie und wo man dort mithalten kann.

  10. 2008-2010 wurde ich als Unternehmensberater
    mit Schwerpunkt e-commerce con einigen
    SchuH und Modeeinkaufskooperationen noch
    „ausgelacht“ , Heute lacht dort keiner mehr.

  11. @ Markus: War das nicht „blacksocks“? Kann mich noch an so eine nTV Sendung vor ca. 10 Jahren erinnern, wo blacksocks, cove&co usw. am Start waren und sich um einen Business Angel beworben haben.

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