Neckermann befreit sich vom Ballast der Vergangenheit

"Die Rechnung vom kontinuierlichen Wandel eines klassischen Katalogversenders hin zum Online-Händler ist nicht wie geplant aufgegangen." (Kommentar zur "Not-OP" in der Frankfurter Rundschau vom 28.4.2012)

Neckermann will die Gunst der Stunde nutzen und besser spät als nie den unvermeidlichen Schnitt wagen, der auch die Otto-Versender erwartet ("Der Otto-Konzern will erstmal weiterkuscheln"): Das Kataloggeschäft soll eingestampft werden und endgültig dem Online-Geschäft weichen.

Die fünfseitige Presseerklärung (PDF) liest sich fast wie eine Strategievorlage für die verbliebenen Katalogversender. Neckermann schlüsselt darin für alle Bereiche den Overhead auf, den der Versender zuletzt gegenüber den reinen Onlinern tragen musste.

Neckermann2012

(Nicht nur) für Neckermann ist die "konsequente Fokussierung" auf das Online-Geschäft die einzige Chance, um dem Abwärtsstrudel zu entrinnen, den Multi-Channel-Strategien notgedrungen mit sich bringt ("Hört nur, wie sie zetern und jammern!"). Nur so besteht die Hoffnung, im direkten Wettbewerb mit den wachstumsstarken Onlinern wieder Land zu sehen.

Ob und wie reibungslos der Umstieg gelingen wird, ist dabei völlig offen. Denn Neckermann hat bisher nur wenig bis keinerlei Erfahrung als Online-Pure-Player sammeln können. Ein Selbstläufer wird es daher sicher nicht.

Speziell nach den bitteren Erfahrungen in der Schweiz ("Neckermann nach dem Online-Schock") müsste Neckermann aber zumindest die Effekte der Umstellung sehr gut einschätzen können, was den Schritt etwas kalkulierbarer macht.

Wenigstens eine originäre Online-Kompetenz hat sich Neckermann in den letzten Jahren aufbauen können: die Marktplatzkompetenz. Die Umsätze mit Vertriebspartnern lagen 2010 bei 113 Mio. Euro und sollen im letzten Jahr um 36% gestiegen sein (PDF), müssten also 2011 bei 154 Mio. Euro gelegen haben.

Neckermannvertriebspartner

Die Frage wird jetzt sein, ob Neckermann das Online-Marketing in all seinen Spielarten so im Griff hat, dass es das wettmachen kann, was bisher die Kataloge an Online-Kaufimpulsen gebracht haben. Aber das nötige Marketingknowhow lässt sich zur Not ja auch zukaufen. Für die "Online-Kundenansprache" und den "neuen Marktauftritt" hat Neckermann bis Ende 2013 ein Budget von 90 Mio. Euro vorgesehen.

Die strategische Wende kommt spät, aber vielleicht nicht zu spät für Neckermann. Die neue Strategie (PDF) ist jedenfalls das beste (= vernünftigste), was man in den letzten fünfzehn Jahren von einem klassischen Versandhändler gelesen hat.

Wie die Otto-Versender hat Neckermann durch die Quelle-Pleite eine Galgenfrist bekommen. Nur so lässt sich wohl auch erklären, dass Sun Capital für einen Firmenaufkäufer bisher erstaunlich viel Geduld mit Neckermann hatte.

Mit der neuen Ausrichtung stehen nun auch für den Kapitalgeber die Chancen um einiges besser, dass Neckermann wieder wettbewerbsfähig wird und das Unternehmen weitere Kapitalgeber und irgendwann vielleicht sogar einen Käufer finden kann.

Man darf ja nicht vergessen, woher Neckermann kommt: Schon Sun Capital war bei Neckermann Ende 2007 nur eingestiegen, weil Arcandor den Einstieg mit 50 Mio. Euro versüßt hat.

Neckermann geht einen Weg, den bisher in ähnlicher Form nur Tengelmann mit Plus.de gegangen ist, das nach dem Verkauf der Ladengeschäfte auch erstmal weit hinter die einstmals knapp 100 Mio. Euro Umsatz zurückgefallen ist.

Es wird spannend sein zu verfolgen, ob und wie Neckermann seinen angestammten Claim "Neckermann machts möglich" nun wiederbeleben kann und auch in einer Online-Welt wieder echten Mehrwert schaffen kann.

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Kategorien:Shopboerse, Ultimondo

  1. Wenn man die nächsten Jahre weiter mit 30% wächst, dürfte das Katalog-Geschäft umsatzmässig bald überwunden sein. Auf der anderen Seite fehlen halt die enormen Kosten und das lässt einige Luft, ich bin da ziemlich optimistisch. Was Neckermann online die letzten Jahre so getrieben hat, war schon nicht so schlecht.

  2. Letztendlich ist ein Online-Shop gegenüber einem Katalog nur eine anderer Weg dem Kunden Informationen zur verfügbaren Ware zu liefern und eine andere Form des Bestell- und Bezahlverfahrens. Was gestern der Katalog im Wohnzimmer war ist heute eben das iPad (oder andere Geräte).
    Der meines Erachtens nach wichtigere Teil der Pressemeldung ist der (teilweise) Wegfall des Eigensortiments und der Rückbau in der Logistik. Kann die Zukunft des Handels noch in einem “einkaufen, einlagern, verkaufen, versenden” Modell liegen?

  3. Die Frage ist nur, ob das Management die Zeit hat die mit einem Image belegte Marke “Neckermann” den Ansprüchen der “neuen” Distanzhandelskäufer (keine Versandkosten, dynamisches, marktorientiertes Pricing und ein “geileres/moderneres” Stationär-orientiertes, markenlastigeres Sortiment) gerecht zu werden (allein das Suffix .de macht die Marke auch nicht anders).
    Oder ob nicht das typische Dilemma sich wandelnder Organisationen eintritt: Vergraulen der alten Klientel bei gleichzeitig zu geringer Attraktivität für die Neuen Kunden.
    Wer mal wissen möchte wie man zum Wettbewerb im Damenfashionbereich steht (dem m.M.n. attraktivsten Shopping-Segment) der vergleiche mal folgende Seiten und bewerte dann:
    http://www.zalando.de/marken/?gender=34
    http://www.neckermann.de/Marken/10008592,de_DE,sc.html

  4. @Andreas schlechtes Beispiel die Markenübersichtsseite mit einer Promotion Seite zu vergleichen. Zalando hat ein ganz anderes Ziel und ist nicht vergleichbar mit anderen Seiten. Da Zalando nur auf Verlust aufgebaut ist und dann zum Schluß für einen fiktiven Wert an ebay verkauft wird und hier der Überschuß entsteht. Und ebay wird kaufen müssen, da die sonst keine eigenes Geschäft mehr haben werden. Neckermann ist aber Zalando einiges voraus mit Vertriebspartnern. Zalando muss erst die nötigen Schnittstellen entwickeln. Die ganze Markenvielfalt die sich Zalando aufgebaut hat ist ein reines Verlustgeschäft. Da die Marge nicht ausreicht um die hohen Rücksendungen zu decken und Zalando muss sich im Vertriebspartnergeschäft erst beweisen. Durch die andauernde Bewerbung der kostenlosen Rücksendungen, 100Tage Rückgaberecht ect. werden es sich nur wenige Händler leisten können dort zu verkaufen und lieber auf andere Plattformen ausweichen.

  5. @ Simon: Da deine Antwort sich auf meinen Post bezog antworte ich mal.
    Die beiden Links sind jeweils die entsprechenden Markenstartseiten der Rubrik “Damen(mode”). Was ich damit zeigen wollte ist (neben der puren Anzahl an Marken, wie unterschiedlich beide das Thema Marken interpretieren. Während neckermann mit s.Oliver, Esprit und mexx die klassischen Marken im Portfolio hat und dann neben einigen anderen bekannten kaum mehr was nennenswertes kommt, besitzt zalando eine Vielzahl an sog. “In-/Trend-Marken” und ist damit deutlich anders aufgestellt.
    Allein vom Markenportfolio spricht Zalando die typischen Fußgängerzonenkäufer an, wohingegen Neckermann eher die klassischen “Homeshopper” adressiert. Und genau da liegt der Unterschied (denn die Fußgängerzonenkäufer treiben den Online-handel, während die klassischen Homeshopper “eher aussterben”). “Pick your Battlefield.”
    Noch ein Wort zur Rendite von zalando:
    Das Geschäft steckt quasi noch in seiner “Markteintrittsphase (inkl. Aufbau Kundenbestand)” (wenn auch weitestgehend abgeschlossen ) und kann bei dem aggressiven Wachstum keine Gewinne erwirtschaften. Alles andere hätte mich mehr als überrascht bzw. ist normal. Auch amazon hat jahrelang (ich glaube es waren 10) nur Verluste eingefahren bis es in die Gewinnzone kam.

  6. Auch neckermann.de hat im Bereich Damenmode Marken wie Bench, Diesel, Guess, G-Star, Hilfiger, Liebeskind, Scotch & Soda, True Religion usw. Aber es stimmt schon, besonders wahrnehmbar angeteasert werden bis dato vor allem die Mainstream-Brands, die auch sinnbildlich für die Ansprache möglichst breiter Käuferschichten stehen. Insofern ist der Hinweis von Christian Martin oberflächlich betrachtet schon richtig. Der Spagat zwischen eher trendigen und eher im klassischen Homeshopping verhafteten KäuferInnen ist die große (Marketing-) Herausforderung für ein Unternehmen wie neckermann.de, das seine stark divergierende Kundenbasis immer neu interpretieren muss.
    Was Zalando und Amazon betrifft, so würde ich Jeff Bezos und die Samwers – bei allem Repekt vor der Zalando Leistung, den ich wirklich habe – nicht in einen Topf schmeißen. Bezos ist ein Nerd mit herausragenden Visionen / Ideen und unendlichem unternehmerischem Kampfgeist, die Samwers sind dagegen exit-orientierte, clevere Marktanalysten. Bezos hätte Amazon schon nach 2 Jahren in die Gewinnzone fahren können, dafür hätte er aber seine massiven Innovationen stoppen und seine Visionen stark zusammenstutzen müssen. Er hat es immer wieder geschafft, Geld für seine zunächst defizitären Visionen zu besorgen, weil er nicht exit- und kopier-getrieben ist sondern seinen Namen und seine Kreativität mit dieser Idee fast untrennbar verbunden hat. “Markteintrittsphase” ist ein Wort, das Bezos mit “Everyday is the first day” beschreiben würde, ihm ging es nie darum, das Unternehmen aufzupumpen und dann abzustoßen: Diese Ansätze sind für mich insofern nicht vergleichbar.

  7. @ Sven Selle:
    Gebe dir vollkommen Recht was den Vergleich Amazon/Zalando angeht und natürlich sind die Intentionen der Shareholder mit dem Geschäftsmodell nur bedingt vergleichbar.
    Danke auch für den Hinweis auf die Marken bei neckermann.de. In der Tat sind die vorhanden, aber durchaus schwierig zu finden.

  8. Ich glaube, dass die Einschätzung, Zalando wäre nur Exit getrieben, nicht (mehr) stimmt. Das Thema war vor einem Jahr noch aktuell, ich denke aber, dass es mittlerweile glaubhaft ist, dass dies nicht mehr das primäre Ziel ist, dafür haben bisher alle Beteiligten schon zuviel investiert. Jemand, der nur den schnellen Exit im Sinn hat, baut imho keine Logistik-Zentren. Und wenn Zalando weiter so expandiert, wie zuletzt, fallen die Käufer auch nach und nach aus, weil einfach niemand mehr soviel Geld bezahlen kann. Ein Börsengang wäre noch möglich, der geht aber nur, wenn die Zahlen stimmen. Von daher sollte man einfach mal aufhören, zu glauben, dass Zalando nur ein vorübergehendes “Problem” ist. Das Warten auf einen Untergang oder Übernahme von Zalando könnte für einige noch ein teurer Fehler werden. Otto / Neckermann sind mittlerweile schon soweit, dass Zalando richtig weh tut.

  9. Nicht missverstehen: Ich halte Zalando auch nicht für ein “vorübergehendes Phänomen”. Zalando braucht die Samwers in persona nicht mehr, um erfolgreich zu sein. Darauf zu warten, dass die unter den heutigen Verlusten zusammenbrechen, wäre das Dümmste, was ein Unternehmen wie neckermann.de oder Otto tun könnten.
    Die Otto Aussage, dass es leider, leider Wettbewerber gibt, die kein Geld verdienen müssen und die somit das Geschäft verzerren, ist menschlich verständlich aber unsinnig. Der Wettbewerb im eCommerce war schon immer zu einem beträchtlichen Teil von der Finanzierung von Ideen getrieben, die sich nicht nach 3 Tagen refinanzieren. In diesen Denk-Modus umschalten können halt nur Unternehmen, die das Spiel (vulgo: die Kundenerwartungen) verstehen und sich flexibilisieren. Das man “in the long run” Geld verdienen muss, schon um beim Finanzamt nicht in den Ruf zu geraten, man betreibe gar keine Gewinnstrebungsabsicht sondern ein Hobby, ist auch klar ;-)
    Was Otto, neckermann.de und ein paar andere tun können, ist sich INHALTLICH en detail mit dem Geschäftsmodell und der damit verbundenen Kundenwirkung von Modellen á la Zalando auseinanderzusetzen, die Defizite zu erkennen und bessere Modelle dagegen zu setzen. Das geht, wenn man sich zum einen selbst nicht so extrem wichtig nimmt und zum anderen die wahren Assets seiner Unternehmung noch ernst nimmt und in den Gegebenheiten des Jahres 2012 re-interpretiert.

  10. Dass die Werbung bei Zalando mehr kostet als Sie einnehmen ist ganz klar und normal. So lief das bisher bei allen größeren ecommerce Unternehmen. Nur ging es mir in meinem Post nicht um die Investitionen in Werbung die den Verlust herbeiführen, sondern darum das Zalando auf Grund der hohen Retourenquote bei dem großteil der Verkäufe defizitär arbeitet. Denn wenn man die Versandkosten, die Retourenkosten, die Mitarbeiterkosten und noch die Reste abschreiben muss, kann bei den meisten Artikeln kein Gewinn übrig bleiben. Selbstverständlich habe ich sehr großen Respekt von der Leistung von Zalando. Zalando wird auch kein vorübergehendes Phänomen sein, auch wenn es einen Exit gibt wovon ich sehr stark ausgehe, wird niemand über eine Milliarde Euro für eine Unternehmen bezahlen das gleich wieder aus dem Markt verschwindet. Nur im Vertriebspartnergeschäft ist Neckermann, Zalando momentan voraus und ich bin sehr gespannt wie sich Zalando hier behaupten wird. Jedenfalls hat Zalando bei der momentanen Retourenquote ect. nicht im entferntesten die Attraktivität von Amazon und auch Neckermann halte ich hier für attraktiver für Vertriebstpartner und zum Schluß wird das Vertriebspartnergeschäft über den Erfolg der großen Plattformen entscheiden.

  11. Wie hoch sind denn die Retouren-Quoten bei Neckermann & Co. im Fashion-Bereich? Kann mir nicht vorstellen, dass Zalando da sooo eine grosse Ausnahme ist. Retouren-Management steht da ja mittlerweile auch eher hoch im Kurs (“schrei vor Glück – oder schick’s zurück” gibt’s nicht mehr) und ich bin mir sicher, dass Zalando die Retourenquoten mindestens ebenso gut hinbekommt wie alle anderen, warum sollten sie schlechter sein? Und wo sind dann noch die (Kosten-) Vorteile von Otto & Co.? Einkauf? Evtl. aber das ändert sich auch mit zunehmender Grösse und Einkaufsmacht. Und dann soll mir mal einer erklären, warum das Zalando-Geschäft teurer sein soll als das von Neckermann & Otto.

  12. Auch wenn Zalando nicht mehr damit wirbt, wird Zalando noch sehr lange für diese Werbung bekannt sein. Amazon hat eine wesentlich niedrigere Retourenquote, ich weiß nicht wie die das machen. Neckermann hat eine Retourenquote von ca. 50% im Bekleidungsbereich und das obwohl Versandkosten verlangt werden, was natürlich eine gewisse Abschreckung der Retouren ist. Otto verlangt auch Versandkosten, die Retourenqoute wird wohl auch in diesem Bereich wie Neckermann liegen. Hier ein Artikel wo Experten von 70% bei Zalando ausgehen:
    http://www.ecommerce-lounge.de/zalando-ermahnt-kunden-retouren-werden-zum-problem-9364/
    Wobei bei der Retourenquote auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen, wie beispielsweise wieviele Kunden alles zurückschicken und wieviele zumindest einen Teil der Bestellung behalten und somit immer noch ein Gewinn bei der Bestellung rauskommt. Wenn man Versandkosten zahlen muss, schickt man wohl seltener alles zurück. Im Spiegel gab es sogar einen Bericht zu Zalando Partys bei denen einfach mal alles bestellt wird, dann einmal alles anprobiert, eine private Modenschau veranstaltet und dann wieder alles zurückschickt wird. Sicherlich ist das nicht die Masse an Kunden, aber es zeigt doch eine klare Tendenz für was Zalando steht.

  13. Das beschriebene Retouren-Problem hat nicht nur Zalando, sondern alle Fashion-Versender, die die entsprechenden Rahmenbedingungen (Kauf auf Rechnung, keine Versandkosten) haben, wie z.B. Esprit. Und die haben dann auch angefangen, Kunden “zu ermahmen”. Das sind alles Parameter, mit denen man dann irgendwann “spielen” kann, das heisst ja nicht, dass Zalando immer defizitär bleiben muss, weil sie Zalando sind. Die nehmen halt jetzt die hohen Retouren-Quoten bewusst in Kauf, um den Umsatz zu pushen (was übrigens Otto & Co. früher auch gemacht haben) und wenn die Zeit reif ist, wird halt entsprechend optimiert. Das hat Amazon übrigens auch gemacht.

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