Wo steht der sterbende Handel – heute und in 5 Jahren?

"Die Entwicklung im E-Commerce verlief bisher immer rasanter, als Experten vorhergesagt haben." (Gerry Weber)

Wenn man sieht, wie Online den Handel überrollt und ihm in nur zwei Jahren 9 Mrd. Euro abenehmen konnte, dann fragt man sich unwillkürlich: Wie kann das möglich sein? Und: Wird das jetzt so weitergehen? Wird der Online-Handel also dem stationären Handel in den nächsten 5 Jahren hochgerechnet weitere 20-25 Mrd. Euro abnehmen?

Bvhzahlen2012

Für einen Plausibilitäts-Check lohnt es sich, einmal fünf Jahre zurückzublicken und sich vor Augen zu führen, wo der sterbende Handel damals stand, Anfang 2008, als Amazon seine erste Umsatzmilliarde bekanntgegeben hat (vgl. die Amazon-Zahlen heute):

Der Handel, und hier speziell die Katalogversender, litt also schon damals extrem. Doch so sehr er auch litt: Wer hätte Anfang 2008 allen Ernstes für möglich gehalten, dass sich binnen fünf Jahren sowohl Quelle als auch Neckermann (komplett!) in Luft auflösen oder dass auch ein Schlecker komplett von der Bildfläche verschwindet?

Wenn es dem Handel den Boden unter den Füßen wegzieht

Das heutige Wissen einbezogen, kann man sich nun überlegen, wie es wohl weitergeht und wie der Markt 2017/18 aussieht:

  • Wenn schon führende Buchhändler davon ausgehen, dass die Hälfte der Buchläden überflüssig sind, dann dürfte das ein Mindestwert sein. Die Frage ist hier eigentlich nur noch, wer zuerst die Segel streicht – Thalia oder Weltbild/Hugendubel bzw. wann beide zusammengehen? (Zur Erinnerung: Deutschland hatte auch einmal einen florierenden Musikfachhandel).
  • Bei Media Saturn, gerade noch ein Stückchen enger zusammengerückt, dürfte in fünf Jahren nur noch eine der beiden Offline-Marken übrig sein. Die andere wird ggf. mit/statt Redcoon als reines Online-Konzept fortgeführt, das Filialnetz wird wie das des gesamten Elektronikhandels entsprechend ausgedünnt.
  • Die überregionalen Warenhäuser von Kaufhof und Karstadt kämpfen schon seit längerem um ihre Existenzberichtigung und werden, wenn nicht gegen den Online-Handel, dann gegen die innerstädtischen Shoppingcenter verlieren.
  • Für die Ü60-Versender der Otto-Gruppe bahnt sich der Showdown für 2014 an, wenn nach den Quelle- auch die Neckermann-Effekte endgültig verpuffen.
  • Jenseits der direkten Pleitekandidaten klagen heute schon viele weitere Handelshäuser über rückläufige Umsätze. Entsprechend werden sich über alle Branchen hinweg die traditionellen Handelsfilialen weiter ausdünnen.
  • Hinzu kommt, dass der Direktvertrieb für Marken/Hersteller keinen Tabubruch mehr darstellt und traditionelle Handelsmodelle so zudem überflüssig werden.

Jetzt kann man hochrechnen, welche Umsatzanteile dem stationären Handel in den nächsten Jahren verloren gehen, wieviele zugunsten des Online-Handels, wieviele zugunsten von Marken und vertikalen Anbietern wegbrechen, wie sich die Marktanteile verschieben werden bzw. wer was auffangen kann.

Wie sieht das Weihnachtsgeschäft des Handels 2017/18 aus?

Man kann es sich aber auch ganz einfach machen und sich einfach nur mal fragen: Werden die Menschen in fünf Jahren noch wie all die Jahrzehnte zuvor fürs Weihnachtsgeschäft in die Innenstädte pilgern? Bzw. was haben die Einzelhändler dort dem Online-Handel 2017/18 in der für viele umsatzstärksten Zeit des Jahres entgegenzusetzen?

Aus unserer Sicht ist der Online-Handel mit dem Jahr 2011 in eine neue (Wachstums-)Phase eingetreten (siehe Chart). Wir halten daher 20 bis 25 Mrd. Euro Online-Wachstum für die kommenden fünf Jahre für durchaus realistisch und werden unsere Markt- und Wachstumsprognosen für den Online-Handel entsprechend radikal anheben.

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1 Antwort

  1. Interessant wäre auch die Frage, welche neuen Geschäftsmodelle es für den stationären Elektronik-Handel gibt. Die Märkte sind ja doch immer noch sehr praktisch, wenn man die Waren vor dem Kauf angucken will. Vielleicht gibt es künftig auch nur noch Show-Rooms, in denen sich die Hersteller einmieten können…

  2. Hallo Jochen,
    danke für diesen Artikel, er regt sehr zum nachdenken an und stellt die richtigen Dinge in Frage.
    Der Artikel ist mit Sicherheit einer der besten Artikel die ich hier bisher gelesen habe.
    VG
    Bernd

  3. Eine schlüssige Zusammenstellung, sehr gut. Ich habe keine Hoffnung mehr für Formate wie Karstadt und kaufhof oder Media Markt: Hamwa nich wird im Jahr 20 nach gründung von Amazon immer noch so beantwortet, dass ich wochenlang (!) auf einen Artikel warten und en auch abholen müsste. Terminals? Notbooks oder Tablets für Verkäufer? Und eine Verlängerung ins Online-Lager? Andererseits nerven die Onliner (aktuell Amazon) mit Services, die nur auf Kosten von Menschenleben oder besser: Existenzen funktionieren und angeboten werden. Ich habe als Verbraucher keine Lust mehr auf schlechtes Gewissen und die Vorstellung, dass neben mir in der U-Bahn die schlecht bezahlte Lageristin sitzt… Wann merkt der Handel eigentlich, dass wir in einer überversorgten Welt leben, dass zumindest in den Industriestaaten der Verbrauch stagniert, wenn nicht sogar zurückgeht? Und wann richtet er sich darauf ein, zusätzliche Einnahmequellen etwa durch Services zu erschließen? Nicht klemmen ist angesagt (das gilt auch für Amazon); sondern Dienstleistungen wieder einen Wert zu geben – auch einen materiellen. dann klappt’s auch besser im Handel ….

  4. Das zentrale Problem des Innenstadt-Handels wird weniger in der Weihnachtszeit, sondern vielmehr in der „saure-Gurken-Zeit“ sein. Denn wenn von einer niedrigen Basis immer mehr Umsatz online abfließt, ist schnell mal die Grenze erreicht an der die Fixkostenbelastung (Miete, Personal etc.) den Gewinn auffrisst. Dann wird es kritisch fürs Geschäft und die Spirale setzt ein:
    zu wenig Umsatz in schlechten Marktphasen
    -> Laden schließt
    -> Kunden wandern in der Zeit ins Internet ab
    -> Kunden gewöhnen sich an Internetbestellungen
    -> Kunden kaufen auch vermehrt in Hochphasen übers Internet
    -> auch in Hochphasen wird es für Stationäre ergebniskritisch
    -> weitere Läden schließen

  5. Hallo,
    diese Zahlenprognosen können sicher in diese aufgeführte Richtung gehen,
    wenn man linear und einfach nach dem „immer so weiter“ denkt.
    Aber da hier oft auch nach dem Querdenken und nach neuen Konzepten gefragt wird;
    – glaubt Ihr wirklich das sich der Handel, auch Online einfach so linear weiterentwickelt?
    – das keine plötzlichen Brüche bzw. Veränderungen entstehen, durch Politik, gesellschaftliche Änderungen, neue Marktteilnehmer oder einfach durch neue Technologien?
    Auch ich bin kein Glaskugelputzer ;-) und ich beurteile den stationären Handel aktuell auch sehr kritisch.
    Die Probleme im stationären Handel sehe ich aktuell aber mehr in einem Austausch von Händlern und Strukturen, sprich alte Händler und Strukturen machen Platz für Neue.
    Nicht der stationäre Marktplatz bzw. die Handelsform als solche ist überholt oder out of order,
    ein Teil der aktuellen Teilnehmer mit Ihren Konzepten ist raus aus dem Rennen.
    Die fahren eine Formel 1 mit 80er Jahre Kisten.
    Ein Apple wäre ohne seine stationären Stores nicht so erfolgreich und eröffnet immer schneller und mehr stationäre Stores.
    Ein Google testet stationäre Verkaufsflächen.
    Ein Samsung folgt gerade…….
    Es werden weitere Online PurePlayer folgen. Amazon?
    Vielleicht sehen wir 2017 auch ein Zalando am Kurfürstendamm.
    Sobald ein Online Händler meint er habe das Konzept (auch preislich) und die Handelskompetenz für stationäre Flächen wird er in den stationären Handel gehen.
    Es findet nur ein ständiger Austausch am Markt statt, das Alte was sich nicht angepasst hat wird durch das Neue verdrängt.
    Michael

  6. Sehr schöner Artikel.
    Meine Thesen dabei:
    – Die Amazon-Milliarden wurden hauptsächlich anderen Versendern weggenommen bzw. von den verstorbenen vererbt und weniger dem stationären Handel.
    – Es wird einen radikalen Wandel im stationären Handel geben – nur die, welche nicht mitziehen und u.a. das Internet in die offline-Welt bringen, werden sterben. Die stationären Händler, die den radikalen Wandel aktiv mitgestalten werden, werden überleben.
    Leider sind im Internet derzeit keine besonderen neuen Geschäftsmodelle für den Online-Handel erkennbar, welche für weiters Wachstum in der Summe sorgen könnten. Das Gesamtvolumen wird kaum zunehmen, sondern sich weiter auf immer weniger Anbieter konzentrieren – zumindest in Deutschland und der westlichen Welt. In Osteuropa etc. hat der Online-Handel hingegen noch extrem hohes Wachstumspotential.

  7. Könnte mir vostellen, dass die frei werdenden Flächen von Onlinern als Show-Flächen umgebaut werden, in denen der Kunde dann so ne Art „Event-Shopping“ macht und sich die gekaufte Ware dann am selben Tag liefern lässt. Ladenflächen, in denen massenweise Ware gestapelt liegt, wird es sicher kaum noch geben.

  8. Gebe CF absolut Recht.
    Sehr interessant und passend auch folgender Blogbeitrag und die zitierte Roland-Berger-Studie!
    http://etailment.de/2013/roland-berger-studie-zum-online-handel-wo-die-bedrohung-ueberschaetzt-wird-und-wo-sie-wirklich-lauert/

  9. Nur am Rande und weil das in der Berichterstattung dort und anderswo gerne unterschlagen wird:
    Für die „Studie“ wurden 42.000 Menschen in 64 Einkaufszentren nach ihren Shoppingvorlieben befragt. Jeder kann sich selber fragen, wie relevant diese Erkenntnisse für den Gesamtmarkt bzw. für den Online-Handel sind.
    Es handelt sich um eine Vertriebsstudie des Shoppingcenter-Betreibers ECE, der den stationären Handel trotz allem nicht verschrecken will. Und genau so liest sie sich auch: http://www.ece.de/de/wirueberuns/multichannelstudie/

  10. @Jochen Ich glaube, es ist tatsächlich noch etwas früh, den kompletten Abgesang auf den Stationärhandel einzuleuten. Gerade den ECE-Leuten traue ich ne Menge Innovationskraft zu. Man muss sich nur mal die ECE-Malls hier in HH anschauen, da ist zu jeder Tageszeit der Bär los. Viele rennen da einfach nur hin, um die Gastronomie zu nutzen und weil man gerade da ist, nimmt man auch noch ein paar Sachen bei Budni mit. Familien verbringen halbe Samstage in den Konsum-Tempeln. Ich glaube, wenn diese Symbiose von Online und Offline irgendwo funktioniert, dann in den Shopping-Malls.

  11. Stimmt, um den stationären Handel muss man sich keine Sorgen machen. Der hat Heerscharen von Beratern und anderen Seelsorgern. Aber bei Exciting Commerce gehts ja um die Chancen für den Online-Handel. Und da sieht die Welt wieder anders aus.

  12. @Jochen Sicher ist die RB-Studie nicht ganz sauber. Aber auch Google hat ja den ROPO Effekt in mehreren Studien eindrucksvoll nachgewiesen.
    So, wie auch Ernstings ihn aus der Praxis bestätigt hat.
    Zudem gehen immer mehr Online-Pureplayer der Weg in die Offline-Welt. Sicher nicht ohne Grund. Und @CF hat sicher Recht – die Zentren sind täglich den ganzen Tag voll mit Käufern. Auch die künftigen Google-Stores werden sicher ein Erfolg.
    Die Technologien, welche das Internet mit der Offline-Welt verschmelzen, wie bspw. Mobile, NFC, Augmented-Reality bspw. über Google Glass wird seinen Beitrag zur Stärkung von Stationär leisten – ebenso neue Logistikkonzepte wie von Tiramizoo.
    Dennoch werden sicher vergangene Stationär-Konzepte nicht zukunftsfähig sein, sondern sich vollkommen neue Modelle durchsetzen.
    Die wenigsten Menschen werden künftig noch über Desktop-PCs ihre Online-Einkäufe erledigen. Die künftigen Shopping-Geräte (Smartphones, Glasses, iWatches und Tablets) werden aus meiner Überzeugung die Angebote aus der Offline-Welt mit einbeziehen – inkl. schneller Lieferung. Nicht der Kaufkanal wird entscheidend sein, sondern die Bequemlichkeit und Zeitersparnis.

  13. @Hagen Also bitte, das Label „ROPO“ ist von Google erfunden worden, um sein Geschäft mit dem lokalen Handel anzukurbeln. Die entsprechenden Google-Vertriebsstudien würde ich jetzt nicht unbedingt als neutralen Beleg werten und schon gar nicht mein Business darauf aufbauen.
    Ansonsten will ich ja niemandem den „Glauben“ nehmen. Mein Interesse gilt eben dem Online-Handel und dessen Marktperspektiven.

  14. Aber wie schon schlaue Leute sagten, es wird bald keinen eCommerce mehr geben, sondern das wird nur noch Commerce sein und da wird nur noch zwischen erfolgreich und erfolglos unterschieden und es spielt keine Rolle, wie und wo der Kaufimpuls erfolgt.

  15. @Jochen Da gebe ich Dir Recht – Studien glaube ich ja generell nicht – da baut jeder die Welt, wie sie ihm gefällt – und eine objektive Wahrheit gibt es eh nicht ;-)
    Basis für die Shopping-Zukunft wird das Internet sein – Kanalunabhängig (ganz davon abgesehen, dass man eine Trennung der Kanäle statistisch gar nicht mehr trennen kann).
    Zumindest ist dies meine Überzeugung.
    In dem „reinen“ Online-Handel sehe ich in naher Zukunft kein großes Wachstumspotential mehr, d.h. das Wachstum wird weiter abnehmen. Wie immer in der Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung erleben wir auch hier durch Effizienzgrenzen bedingt eine Marktkonzentration. Große Innovationen, welche den reinen Online-Kanal auf ein neues Entwicklungs- und somit Wachstumsniveau bringen können, sehe ich derzeit nicht. Dieses Potential sehe ich eher durch den Einzug des Internets in die Offline-Welt gegeben – angefeuert von den neuen mobilen Möglichkeiten, die das Internet vom Heimanschluss abgekoppelt haben und weiter werden (z.B. die derzeitige Durchdringung von Shopping-Apps im Auto,…). Also dadurch, dass die Menschen immer mehr die Möglichkeit haben, das Internet ortsunabhängig in der „realen“ Welt zu nutzen wird dazu führen, dass die durch den Desktop- und räumlich bedingte reine virtuelle Welt an Bedeutung verlieren wird.

  16. Es ist wirklich verwunderlich, dass ein Land, daß den Ruf der „Dichter und Denker“ genießt sowie ein innovativer Marktführer in vielen Dingen ist einfach zu blöde ist, um auf den E-Commerce zu reagieren…
    Sorry, dass ich so direkt bin, aber es wird seit Jahren gepredigt und gepredigt, aber die deutschen Unternehmer erinnern mich immer wieder an Kaiser Wilhelm II, als er sinngemäß sagte:
    „Das Autombil ist eine vorrübergehnde Modeerscheinung und wird das Pferd niemals ersetzen.“
    Die ausländischen Unternehmer a la Amazon wird’s freuen….

  17. Es lässt sich aber auch beides verbinden: Stationäre Händler haben die Waren sehr nah am Kunden und können zusätzlich lokale Services anbieten.
    Eine Variante, den stationären Einzelhandel zu integrieren: http://www.sellside-report.com/video/das-gaxsys-system-im-detail-erklaert

  18. Die Entwicklung muss zwangsläufig in Richtung kombinierter Verkaif gehen, weil der stationäre Handel die Online Einbussen kompensieren muss sonst fressen ihn die Kosten auf. Nur sind neue Konzeptr gefragt, weil der ststionäre Handel in der Breite die notwendige Artikeldatenpflege nicht schafft und der Konsument online Shops mit großen Sortimenten sucht. Mehr dazu in meinem Blog http://ishopinshop.blogspot.com

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