Der scheidende Hermes-Chef rechnet mit Zalando & Co. ab

Was wird aus Hermes in der Logistikkrise („Das Versagen der Paketdienste und die Folgen für die Branche“)? Das ist gerade unklarer denn je („Schneider-Nachfolge: Otto-Gruppe weiter ohne Logistik-Vorstand“). Der scheidende Hermes-Chef jedenfalls macht sich zum Abschied nochmal so richtig Luft („Hanjo Schneider: „Gleiche Spielregeln für alle““):

„Die Paketmengen steigen derzeit viel zu schnell, als dass man mit wirtschaftlich vertretbaren Investitionen dagegen anbauen kann.

Daher haben wir in diesem Jahr einen wichtigen Schritt unternommen, indem wir die Mengen, die wir mit im Sommer mit den Kunden für den Winter verabredet haben, deckeln. Mehr als vereinbart wird nicht transportiert. Damit wollen wir unseren Kunden natürlich keineswegs schaden.

Aber eine Dienstleistung, die am Ende des Tages unter Wert verkauft wird oder gar nichts kostet, ist auch nichts wert. Und die Dienstleistung ‚Paket‘ ist in Deutschland nun mal völlig unterbewertet. Das ist inakzeptabel und wird sich ändern müssen. Es braucht mehr Verantwortung von allen Beteiligten, also insbesondere auch den Versendern sowie den Endkunden.“

Angesprochen auf die eigenen Versäumnisse und Fehleinschätzungen wiegelt er ab:

„Die aktuelle Dynamik war in dieser Form meines Erachtens nicht absehbar, auch wenn schnell klar wurde, dass sich der Markt verändert und der Handel forciert auf digitale Geschäftsmodelle setzt.“

Natürlich kann man der Argumentation folgen, die die Schuld bei anderen sucht, und vielleicht mag es unfair sein, den Paketdiensten jetzt den Schwarzen Peter zuzuschieben. Allerdings stehen die Logistiker heute nicht grundlos da, wo sie stehen.

Denn das Problem von Hermes ist seit jeher, dass es sich zwar gerne als DHL-Opfer sieht, aber nicht bereit ist, in den Angriffsmodus zu schalten geschweige denn DHL da zu treffen, wo es wirklich wehtut.

Als fatal hat sich zudem erwiesen, dass man als Otto-Tochter erst Amazon und dann auch noch Zalando unterschätzt hat, die sich ärgerlicherweise nicht an die Spielregeln gehalten haben, für die Otto, Quelle und ihr Bundesverband damals standen, und so dem Gratisversand (und dem Online-Boom) hierzulande den Weg bereitet haben. Hier nochmal das berühmt-berüchtigte Argumentationschart:

Und so stellt sich für Hermes jetzt die Frage, ob es in der Versandlogistik mit bewusst beschränkten Kapazitäten eine Rolle als Nischenplayer anstrebt und DHL und Amazon Logistics das vermeintlich unlukrative Massengeschäft überlassen will. Oder ob es Mittel und Wege findet, im Wettbewerb mitzuhalten und den boomenden Markt idealerweise mitzugestalten.

Mehr zum Thema auch in den Exchanges #186 („Die Logistik am Limit 2017/18“) und in den Exchanges #176 („Zur Zukunft der Otto Group“).

Frühere Beiträge zum Thema:



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1 Antwort

  1. In einem Punkt muss ich Hanjo Schneider voll und ganz recht geben:

    „Aber eine Dienstleistung, die am Ende des Tages unter Wert verkauft wird oder gar nichts kostet, ist auch nichts wert. Und die Dienstleistung ‚Paket‘ ist in Deutschland nun mal völlig unterbewertet. Das ist inakzeptabel und wird sich ändern müssen.

    Was Du als Angriffsmodus bezeichnest, in den sich Hermes begeben soll, bedeutet nichts anderes, als noch massivere Investitionen als ohnehin schon gemacht werden. Und wofür? Das sagt Hanjo Schneider auch noch:

    „…als dass man mit wirtschaftlich vertretbaren Investitionen dagegen anbauen kann…“

    Das ist genau der Punkt, den ich auch bei der letzten Diskussion hier schon gemacht habe. Investitionen in den deutschen eCommerce-Paketversand sind zur Zeit unwirtschaftlich. Dazu kommt noch eine massive Wettbewerbsverzerrung zugunsten des Monopolisten DeutschePost / DHL, der ca. 90% des eCommerce-Sendungsvolumens mit 19% Ust.-Ersparnis gesponsert bekommt plus sich quasi beliebig Geld durch das Briefgeschäft in die Kassen schaufeln darf.
    Wie bitte soll denn da ein Angriffsmodus ausschauen?

    Das heisst aber nicht, dass Hermes und die anderen Paketdienste chancenlos wären. DHL bekommt die Steuer-Subventionen, weil sie gezwungen sind, flächendeckend in D zuzustellen. Genau das könnte man aber nutzen und einfach die unrentablen Zustellziele aus dem Programm nehmen und nur noch auf den lukrativen zustellen plus gemeinsam in eine schlaue Last-Mile Infrastruktur investieren.

    @Jochen, das meintest Du sicher mit „DHL treffen, wo es weh tut“?

    So oder so, für alle gilt: Grundvoraussetzung ist, dass der Paketversand für Marktteilnehmer wieder einen angemessenen Wert bekommt und wenn die Händler gratis liefern wollen, müssen sie die Kosten selbst tragen und nicht versuchen, diese auf die Paketdienste abzuwälzen. Wenn die Kunden ihre Pakete komfortabel zugestellt haben wollen, müssen sie dafür bezahlen.
    Und dann lohnt es sich auch wieder, in Infrastruktur zu investieren.

    • Dass die „Dienstleistung Paket“ nichts wert ist, ist aber selbstverschuldet. Schließlich führte man jahrelang einen Preiskampf nach unten – vor allem Hermes! Dass dem Kunden kommuniziert wird, dass es so im Grunde nicht geht, ist ja relativ neu. Das deckt sich mit anderen Branchen, die sich unter Wert verkauft fühlen, aber an der Misere selber Schuld sind (klassisches Beispiel: Friseurhandwerk) und durch jahrelange Niedrigpreise Kunden eben an diese gewöhnt haben.

      Wie man DHL angreifen kann zeigen die Konkurrenten von Hermes wie DPD oder UPS, die sich trotz (hochpreisiger) Strategie sehr gut behaupten können.

      • Da muss ich Dir auch recht geben. Ganz unschuldig sind die Paketdienste an dieser Situation nicht. DPD ist allerdings in der Vergangenheit auch eher durch Preisdumping aufgefallen. Die versuchen das gerade zu drehen, wird aber ein aufwendiger Weg.

        Die Frage ist, wer macht jetzt den ersten Schritt bei den Preiserhöhungen. Und ich rede hier nicht von den üblichen 3-4% pro Jahr. Ich würde mal tippen, DHL ist es nicht.

      • Ich weiß nur wie DPD das teilweise bei B2Bs handhabt und wie stark hier auf Masse gesetzt wird ohne kleinteilige Nachverteilung an Haushalte. Das hebt natürlich die Marge, wenn der Zusteller nicht 2mal klingeln kommen muss.

        Ich glaube nicht an direkte Preiserhöhungen in großem Umfang, obwohl diese zur Aufrechterhaltung notwendig wären. Persönliche Zustellung (wie auch Abholung) muss einfach ein Luxus (= Aufpreis) oder automatisiert werden. Dann rechnet es sich auch wieder.

    • @Claus Angriffsmodus, etc. bezieht sich zunächst einmal vor allem auf die PR-Strategie.

      Wer DHL den Rang ablaufen will und unfaire Wettbewerbsbedingungen, etc. anprangern will bzw. ernsthaft etwas verändern will, der müsste PR-seitig schon um einiges mehr auffahren und sehr viel aggressiver und kampfeslustiger auftreten. Braver agierende Wettbewerber als Hermes & Co. kann sich DHL doch gar nicht wünschen.

      DHLs wunder Punkt ist die Reputation. Darauf ist quasi die komplette PR-Strategie ausgerichtet. Denn Streetscooter & Co. mögen ja schön und nett sein, um sich ein umweltfreundliches Profil zu geben, sie lösen aber nicht die Grundprobleme der Branche.

      Das Problem ist halt nur, dass Hermes in seinen Markteinschätzungen noch konservativer ist als DHL, den anderen immer nur hinterher hechelt und – abgesehen vielleicht mal vom Einrichtungssegment – selber keine alternativen Vorstellungen für zeitgemäßere Logistikstrukturen hat.

      Man sieht ja jetzt schon, wie es einem Newcomer wie Amazon Logistics gelingt, DHL mehr auf Trab zu bringen als es Hermes in 20 Jahren vermocht hat.

  2. „Die Paketmengen steigen derzeit viel zu schnell, als dass man mit wirtschaftlich vertretbaren Investitionen dagegen anbauen kann“ – Visionen Fehlanzeige! Elon Musk lacht sich kopfschüttelnd kaputt!

    Habe ich etwas verpasst oder steigen mit den stark steigenden Paketmengen nicht auch der Umsatz und die Effizienz der Paketdienste? Es kommt mir vor, als haben die Dienste bis heute nicht begriffen, was derzeit im Gange ist, nämlich dass sich der Einzelhandel gerade komplett reformiert. Investitionen in die Zukunft waren selten so sicher wie in diesem Fall! Warum also noch immer das Rumgeheule und die Scheu vor dem „GROSS DENKEN“?

    Die Logistikbranche befindet sich einer fast beneidenswerten Situation und dennoch: Wo man hinhört, hört man Selbstmitleid und Klagen um von den eigenen Fehlern und den lachhaften Prognosen und Strategien abzulenken.

    Angebot und Nachfrage! Dieser Grundlegende Mechanismus greift doch auch hier. Selbst wenn man als Logistikunternehmen die Zukunft verpennt hat, kann man doch einfach, über steigende Preise, das stark wachsende Aufkommen von sich fernhalten. Ich als Unternehmer denke mir da: Wie geil ist das denn!? In solch einer privilegierten Position möchte auch ich mich gerne befinden…

    Fazit: Mein Mitleid hält sich Grenzen!

    • „GROSS DENKEN“?!

      Wir verlieren an jedem Paket ein paar Cent, das machen wir aber über die Menge wett. ;-)

      Aber Du hast natürlich recht, für das Preisdumping ist niemand anderes verantwortlich als die Paketdienste selbst. Rationalisierung ist kurzfristig aber ziemlich schwer, die Hauptprobleme liegen auf der letzten Meile und da fallen mir kurzfristig nicht viele andere Sachen als Sammelzustellungen ein.
      Jemandem sein Paket vor die Haustür tragen, ist imho schon bis zum Exzess rationalisiert. Für mehr ist der technische Fortschritt noch nicht soweit. Und auch Elon Musk hat seine Grenzen, wie man ja im richtigen Leben bei Tesla sieht. ;-)

    • Danke @Denjo. Finde, das kann man gar nicht dick genug unterstreichen!

  3. Preise für Pakete gesetzlich verdoppeln und fertig ist. Dann hört auch der irre kostenlose Retourenwahnsinn auf!
    4 Paar Schuhe bestellen um eins zu behalten… kostet ja nix. So eine erzogene Einstellung ist ökonomische, infrastrukturelle und ökologische Perversion.

    • Bevor die Preise gesetzlich festgelegt werden, müssen erst die Größenangaben für Kleidung und Schuhe gesetzlich festgelegt werden. Dann braucht man wirklich nur ein eine Größe zubestellen, nicht vier, weil bislang die Größenangaben bei den unterschiedlichen Herstellern ausgewürfelt werden.

      Ohne die Mehrfachbestellung in verschiedenen Größen kann man den Modehandel online vergessen.

      • Das kann meinetwegen gerne zusätzlich geschehen. Gleiches gilt auch für den Härtegrad bei Matratzen, den auch jeder Hersteller nach eigenem Ermessen vergibt, da dieser nicht normiert ist.
        Davon würde auch jeder (ausgenommen eventuell die Hersteller) profitieren.

  4. Wer nur ausländische billig Arbeiter beschäftig und Preise kaputt macht,
    Soll sich nicht so weit aus den Fenster
    Lehnen.

  5. Da beschwert sich jemand über negative Entwicklungen, die sein Konzern selbst sehr prominent voran getrieben hat. Sei es die Unterbezahlung von Zustellern, die skandalös unfair ist oder die daraus folgende ungenügende Qualität der Dienstleistung ( hier mal nur ein Beispiel, dass selbst bei gedeckeltem Volumen die Qualität bei Hermes nicht stimmt: https://www.bz-berlin.de/berlin/lichtenberg/schoene-bescherung-hermes-wirft-weihnachtspost-auf-die-strasse ).
    Dass von wirtschaftlich unvertretbaren Investitionen gesprochen wird, ist dann eigtl. nur ein Beweis für die Ideenlosigkeit der alten Bosse in der Branche. Über Jahre ging es eigtl. nur um Kostensenkung aber wirklich nötige Innovationen werden als zu teuer abgeschmettert. Wird Zeit, dass ein paar kreativere Köpfe das Ruder übernehmen.

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