Der Otto-Konzern hat ein fulminantes Geschäftsjahr hingelegt, die Handelsumsätze kräftig gesteigert und eine Reihe von guten Zukunftsinitiativen gestartet. Das war die Bilanz der Pressekonferenz in dieser Woche. Dagegen ist erst einmal nichts zu sagen. Und deswegen enden hier auch alle Berichte.
Doch die Zukunft ist nicht Ottos Problem, zumindest nicht das dringlichste. Die Vergangenheit ist es, die zur Belastung wird. Und hierfür hat der Otto-Konzern leider auch dieses Jahr wieder keine Lösung geliefert. Man versucht sich weiter, mit einer Restrukturierung nach der anderen über die Runden zu retten. Aber wird das reichen?
Denn das Unternehmensergebnis gerettet hat im abgelaufenen Geschäftsjahr der Finanz- und der Dienstleistungssektor, die beide nur 12% am Gesamtumsatz ausmachen. Die Umsatzzuwächse im Handelsgeschäft waren in Zalando-Manier erkauft mit aufwändigen Marketingmaßnahmen (s. Geschäftsbericht, S. 111):
"Im Segment Multichannel-Einzelhandel wurde im abgelaufenen Geschäftsjahr ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) von – 93,4 Mio. EUR nach – 18,8 Mio. EUR im Vorjahr erzielt.
Um 119,1 Mio. EUR gestiegene Umsätze, der gesunkene Saldo aus betrieblichen Erträgen und Aufwendungen (- 122,7 Mio. EUR) sowie ein gesunkenes Beteiligungsergebnis (- 45,1 Mio. EUR) führten trotz niedrigerer Abschreibungen (+ 33,2 Mio. EUR) zu dem um 74,6 Mio. EUR geringeren EBIT von – 93,4 Mio. EUR.
Der Anstieg der sonstigen betrieblichen Aufwendungen resultiert überwiegend aus verstärkten Werbemaßnahmen im Rahmen von „Happy Sixty“, dem Anstieg von umsatzabhängigen Kosten, wie beispielsweise Versandkosten, sowie Zusatzbelastungen aus Restrukturierungen in Großbritannien und Frankreich."
Was der Otto-Konzern gerade macht, erinnert fatal an Arcandor. Wir erinnert sich noch an die "halbe Sachen"-Strategie von Arcandor – 50% Online, 50% im Spezialversand, 50% im Ausland? Wie sich die Entwicklungen gleichen:
- Auch im Otto-Konzern freut man sich über stetig steigende Online-Anteile, ohne sich darauf einzustellen, dass noch immer keiner der Katalogversender als wirklicher Online-Versender überlebensfähig wäre.
- Ottos MyBy heißt Mirapodo, Ottos Meevio heißt Yalook, Ottos Planet Sports heißt Limango, usf. Eine größere Übernahme à la HSE24 dürfte als nächstes anstehen.
- Auch Ottos Euphorie über die russischen Märkte mögen verständlich sein. Aber auch die Russen warten nicht auf Ottos Otto- und Quelle-Kataloge. Und Otto ist mit Limango dort auch nur ein Nachzügler unter mehreren.
Auch Arcandor hat unter Thomas Middelhoff kräftig in die Zukunft und ins Ausland investiert und wollte bzw. konnte in den Kerngeschäften am Heimatmarkt keinen Ballast abwerfen. Irgendwann erfolgte der Notverkauf von Neckermann. Wenig später implodierte der Rest, weil an die Wurzel des Übels niemand ran wollte.
Radikale Schnitte passen nicht zur Firmenphilosophie von Otto. Aber ist es unter "Corporate Social Responsibility" Gesichtspunkten fair, den eigenen Mitarbeitern eine heile Welt vorzuspiegeln, wenn spätestens jetzt harte Schnitte gefragt wären? Genau dieses verantwortungsbewusste Verhalten vermisst man auf Schönwetterveranstaltungen wie diese Woche auf der Bilanzpressekonferenz in Hamburg. Und die Mitarbeiter fallen später aus allen Wolken.
Momentan wird speziell die Hauptmarke Otto, die wie Quelle bei Arcandor mit die wenigsten Überlebenschancen hat, über Gebühr strapaziert und im Konzern auf Kosten der anderen Otto-Versender aufs Geht-nicht-mehr verbogen und gepusht. Da wird allen Ernstes versucht, Otto in der ProSieben- und RTL2-Zielgruppe in der Model-WG, etc. zu promoten.
Wo steht die Otto-Gruppe in fünf Jahren?
Einige sehen Beiträge wie diese als frevelhaft und anmaßend. Aus meiner Sicht beschreiben sie die andere Seite der Realität und in dem Fall, die zukunftsentscheidendere Seite. Denn es geht um die Überlebensfrage des Konzerns.
Wenn der Otto-Konzern so weitermacht wie bisher, dann lesen wir in fünf Jahren im Geschäftsbericht folgende Aussagen (Achtung: Satire!):
- "Wir haben das Internet erfunden" (heute: "Wir waren einer der ersten Online-Händler, der Produktbewertungen zugelassen hat", S. 11)
- "Alle Otto-Versender haben einen Internetanteil von 100%" (bei 100 Bestellungen am Tag)
- "Otto ist der weltführende Online-Händler bei roten Damenunterhöschen" (heute: "Otto Group ist weltweit größter Online-Händler für Fashion und
Lifestyle")
Der Otto-Konzern könnte als seriöses und professionell geführtes Unternehmen die rosigsten Zukunftsaussichten haben, wenn es endlich aufhören würde, sich so pseudo-innovativ zu geben (Umair Hague nennt das gern "Unnovation") und statt mit iPads zu wedeln, sich auf seine wirkliche(!) Kernkompetenz besinnen würde und dort an echten Innovationen arbeiten würde anstatt immer nur den letzten Trends hinterherzuhecheln.
Wer sich zu den führenden Internetversendern zählt, der sollte es in 15 Jahren Internet geschafft haben, wenigstens einen prägenden Trend zu setzen. Doch anstatt mit der hauseigenen Kompetenz neue Felder zu erschließen und Märkte neu zu definieren, hat sich Otto diese fatale "Best in Class" Denke angewöhnt, mit der man nur schwer über den eigenen Tellerrand blicken kann und die man am besten erreicht, wenn man nur oft genug sitzenbleibt.
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