Wenn Unternehmen vorschreiben, wie zu berichten ist

Exciting Commerce ist eine der wenigen Publikationen, die sich kritisch mit Unternehmen und Unternehmensstrategien auseinandersetzen – im positiven wie im negativen Sinne. Ob Kritik gerechtfertigt ist oder nicht, darüber kann man immer streiten. Und das wird hier im Blog auch gut und gerne getan.

Unternehmen haben eine kritische Sicht auf ihr Unternehmen alles andere als gerne. Wer sich nicht an die PR-Vorgaben hält, andere Perspektiven einnimmt und/oder versucht, aus den veröffentlichten Unterlagen eigene Schlüsse zu ziehen, dazu noch in subjektiver und/oder pointierter Form, der muss mit Reaktionen rechnen, die von dezenten Korrekturhinweisen bis zu Einschüchterungsversuchen, Schadensersatzandrohungen, etc. reichen.

In der Regel läuft das dann so wie kürzlich bei Tom Tailor, wo man sich nachvollziehbarerweise an Beiträgen wie „Wie Tom Tailor seine Online-Probleme in den Griff bekommen will“ und „CBR Fashion zieht online mit 46,6 Mio. € an Tom Tailor vorbei“ stieß – und IR-seitig dann irgendwann einschritt und freundlich anmerkte:

„Die Online-Umsätze von CBR Fashion und der TOM TAILOR GROUP sind in dieser Form nicht miteinander vergleichbar.

Die Umsätze von CBR enthalten neben den Umsätzen mit dem eigenen E-Shop auch die Umsatzerlöse mit Dritten (siehe Ihre Quelle Seite 15) während bei TOM TAILOR nur die Umsätze mit dem eigenen E-Shop ausgewiesen werden.“

Dass bei CBR Fashion die Marktplatzumsätze enthalten sind, ging eigentlich schon aus dem Beitrag hervor. Aber gut zu wissen, dass Tom Tailor das anders handhabt. Solche Hinweise sind sehr willkommen, und man nimmt sie dankend an. Wäre da nicht der zweite, sehr viel symptomatischere Teil:

„Insofern ist diese Darstellung nicht zutreffend und ich bitte Sie, dies richtig zu stellen. Ihrer Korrektur und Antwort sehe ich gern entgegen.“

Ob die Darstellung tatsächlich falsch ist oder nur der anderen Perspektive geschuldet ist, darüber könnte man trefflich streiten. Denn in dem Beitrag ging es in erster Linie um die Darstellung der unterschiedlichen Wachstumsdynamiken.

Aber der Tonfall lässt ja keinen Zweifel, was der Kommentar bezwecken soll.

In dem Fall haben wir uns also schlussendlich dazu entschlossen, die Überschrift entsprechend anzupassen – von „CBR Fashion zieht online mit 46,6 Mio. € an Tom Tailor vorbei“ in „CBR Fashion wächst online auf 46,6 Mio. € – dynamischer als Tom Tailor“.

Das soll nur als ein Beispiel dienen, wo die Fallstricke in der Unternehmenskritik liegen. Man fragt sich manchmal, was wäre, wenn jeder Verriss eines Buches und/oder eines Kinofilms zu Schadensersatzforderungen, etc. berechtigen würde. Was wäre, wenn in der Kulturkritik ähnlich argumentiert würde: „Diese Darstellung ist nicht zutreffend, und ich bitte Sie, dies richtig zu stellen.“

Nicht einfacher macht es seit letztem Jahr das Urteil zur Löschung von Google-Ergebnissen, das Unternehmen massiv für Säuberungsaktionen (aka „Reputation Management“) nutzen: Was hat ein Unternehmen nicht alles an Drohszenarien aufgebaut, um auch diesen Beitrag („Die Totengräber des deutschen Versandhandels“) aus dem Netz zu bekommen. Dabei zitiert dieser nur aus der unternehmenseigenen Pressemitteilung.

Mehr zum Thema und den gängigen Praktiken heute auch bei etailment.

Frühere Beiträge zum Thema:



Kategorien:Chronik

1 Antwort

  1. Kann man solche Briefe nicht einfach ignorieren? Das fällt doch in den Rahmen der Pressefreiheit! Alternativ veröffentlichen, so wie Sie es hier gemacht haben. Aber ohne im gleichen Zuge Überschriften zu ändern.

    • kann man schon und passiert auch in der Regel, aber erwartet wird, das man spurt

      • was wäre die Welt, wenn man einen nüchternen Blick auf die Dinge erlauben und akzeptieren würde? Stattdessen bedarf es immer einer Menge (mehr oder weniger sachlicher) Applaudatoren, um aus weniger schönen Ereignissen ein funkelndes Feuerwerk aus der PR-Maschinerie zu machen *scnr*

      • Und zwar nicht selten mit deutlichem Druck, z.T. sogar Falschbehauptungen. Hatte kürzlich den Fall, dass ein Firmensprecher im Nachhinein behauptete, er hätte das von mir Zitierte nie gesagt, weil es nachher nicht mehr so gut in die PR-Strategie passte (bzw. sich irgendwer beschwert haben muss).

        Bei freien Autoren lässt sich da im Zweifel auch schön Druck ausüben, indem der Auftraggeber verunsichert wird, gegenüber dem ich mich dann zusätzlich erklären darf. (Obwohl die Redaktionen glaube ich inzwischen ganz gut wissen, dass das zur Strategie gehört.)

  2. Wünschte mir tatsächlich sowas wie Boocompany zurück. Stoff gäbe es ja aktuell genug nur kann man danach seine Karriere vergessen… :)

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