bvh vs. BVDW – (k)eine Lobby für den Online-Handel?

Die Branchenverbände bvh ("Bundesverband des Deutschen Versandhandels") und BVDW ("Bundesverband Digitale Wirtschaft") haben sich in dieser Woche zusammengeschaltet und eine strategische Allianz in Sachen Internet bekanntgegeben, die aus Sicht des Online-Handels mehr als kritisch zu bewerten ist.

Man kann nur hoffen, dass sich der online-unerfahrene bvh der geballten Online-"Kompetenz" des BVDW erwehren kann. Denn der (Online-)Handel ist ohnehin schon einer der großen Zahlmeister des Internet und damit eine wesentliche Stütze (=Umsatzquelle) der sogenannten "Digitalen Wirtschaft", wie sie BVDW, Bitkom & Co. propagieren. Ein guter Teil der Werbeeinnahmen bei Google & Co. wird von Händlern generiert, ebenso ein guter Teil der Dienstleisterumsätze bei Agenturen, Service-Providern, etc.

Dass es der Internetwirtschaft darum geht, möglichst viel Umsatz mit dem Handel zu machen, ist weder verwunderlich noch verwerflich. Erstaunlich ist nur, wie sehr sich der (Online-)Handel das gefallen lässt und wie vergleichsweise wehrlos er sich von der Internetwirtschaft immer noch einlullen lässt.

Wer bestimmt die Agenda im E-Commerce?

Denn was sinnvoll und gut ist im E-Commerce, das bestimmen immer noch nicht die Händler, sondern ganz im Gegenteil ist die Industrie so strukturiert, dass Internet-Dienstleister und Agenturen vorplappern, was der Handel nachplappern soll.

Vom sog. Mobile Web über Cloud Computing bis Multi-Channel sind 9 von 10 Branchenthemen von Beratern, Dienstleistern oder Produktentwicklern getrieben und nützen diesen bei kritischer Betrachtung weit mehr als den Händlern (siehe exemplarisch das Thema Mobile).

Und wieviele Händler lassen sich – sei es aus Unbedarftheit oder aus Unwissenheit – auf das ja durchaus durchschaubare Spiel der Internetbranche ein:

  • Wieviele Agenturen gibt es, die (webuntaugliche) Shopsysteme empfehlen, um dann gleich die nötigen Optimierungs- und Marketingleistungen on top mitzuverkaufen?
  • Wieviele PR-Studien diverser Beratungs-"Institute", werden ungefiltert verbreitet, obwohl sie von der Datenerhebung bis zu den Schlußfolgerungen oft mehr als zweifelhaft sind?

Es ist sehr begrüßenswert, wenn sich der (reformierte) bvh nun für die Online-Entwicklungen öffnet. Wenn dies aber dazu führt, dass bvh und Paypal nun gemeinsame "eCommerce-Studien" herausgeben, in denen explizit für den Paypal-Dienst geworben wird, dann ist das eben ein Unterschied zu anbieterunabhängigen Befragungen von GfK, Infratest oder Allensbach.

Wenn ein Verband wie der BVDW gemeinsame Sache mit Paypal machen würde, dann läge das in der Natur der Sache. Aber im Gegensatz zum BVDW ist der bvh (noch) kein Dienstleisterverband, sondern ein Händlerverband. Und sollte sich daher nicht zu sehr vereinnahmen lassen.

Wo ist die Lobby für den Online-Handel?

Im Prinzip müsste ein Branchenverband, der sich für die Händlerinteressen stark macht, eine mehr als kritische Distanz zu den Dienstleistern halten, um ihnen wenigstens ab und an auf die Finger klopfen zu können, wenn sie es zu wild treiben.

Doch noch hat der Online-Handel keine Lobby, die sich explizit für seine Interessen stark macht. Darüber müssen sich vor allem die Händler im klaren sein, die online unterwegs sind. In den Fachmedien wimmelt es nur so von ungefilteter Branchen-PR der "Digitalen Wirtschaft", mit der diese dem Handel mit hochgejazzten Nichtthemen (Wer erinnert sich noch an Second Life?) und unausgegorenen Pseudolösungen das Geld aus der Tasche zu ziehen versucht.

Es fehlt die unabhängige Stimme, die ernsthaft die Interessen der Online-Händler vertritt und der Online-Branche die (wirklich wichtigen) Themen vorgibt. Vor allem aber fehlen branchenneutrale Publikationen, die endlich die Interessen der Online-Händler (und nicht der E-Commerce-Dienstleister) in den Vordergrund stellen und ernsthaft und konsequent über offensichtliche Missstände aufkären, vor allem aber gegen die allgegenwärtige Händler-Abzocke (hier nur ein Beispiel von vielen) vorgehen.

Gegen die angekündigte Allianz von bvh und BVDW wäre an sich wenig einzuwenden, wenn hier in Sachen Online-Kompetenz zwei gleichwertige Partner aufeinanderträfen. Doch der bvh hat durch die jahrelange Dominanz der Katalogversender bei diesem Thema noch erheblichen Aufholbedarf. Und man wird daher sehen müssen, wie sehr er vor den absehbaren Einflüsterungen der Industrie gefeit ist.

Nur zur Klarstellung: Natürlich sind auch in der Internetbranche nicht alle Schafe schwarz, aber man muss schon sehr lange suchen, um eine Branche zu finden, wo die schwarzen Schafe so ungeniert und von der Öffentlichkeit unbehelligt agieren können – zum Leidwesen nicht nur des Online-Handels.

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1 Antwort

  1. Herzlichen Glückwunsch, Jochen. Sehr passende Beschreibung der Situation.

  2. … nicht zu vergessen die Anwältelobby, die einem mit Abmahnungen für Lappalien das Leben schwer macht.

  3. Vielleicht gibt es ja aus diesen Gründen strategische Entscheidungen als Händler eine eigene Unit aufzumachen. Hier ist das Handels-knowhow mit Agentur-knowhow gemischt, wird durch interne KPI gesteuert, bündelt Einkaufskraft und gibt diese an seine Handelspartner weiter. Ein schönes Beispiel dafür ist die Tengelmann New Media und andere Inhouse Agenturen, wenn ich sie mal so nennen will.

  4. Lieber Jochen, ich kann dir in einigen Punkten nicht zustimmen. Deine Darstellung ist mir viel zu stark vereinfacht und teilweise gar polemisch. Dienstleister/Berater, die ihre Kunden schlecht beraten, um nur an (Folge)-Aufträge gelangen, machen das genau einmal und dann sind sie den Auftrag los. Und bekommen, bedingt durch die Enge der Branche, auch keine weiteren Jobs mehr. Ich kenne zum Glück keine Agenturen oder Berater, die bewusst falsch agieren.

  5. Hi Jochen,
    implizit sagst Du mit Deinem Artikel aus, dass manche Händler unmündig sind Dienstleistungen bedarfsgerecht einzukaufen und dass sie inhaltliche „Vorkauer“ brauchen. Ich glaube die Beobachtung ist zwar gar nicht so falsch. Aber anders herum betrachtet, falls es diese Verbände nicht geben würde, würden eben diese Einkäufer (und die dazugehörigen Unternehmen) auch nicht zu den Innovationsleuchten am deutschen e-Commerce Himmel gehören.
    Bedeutet zusammengefasst: Ob mit oder ohne Verbände, die Branche geht ihren Weg. Nur das Tempo wird in Deutschland (durch die Anwesenheit der Verbände) etwas gebremst.

  6. Wie immer ziemlich provokant und in Teilen bestimmt zutreffend geschrieben :)
    Ich langweile mich allerdings ein wenig wenn für die Überlgenheit der reinen Onliner immer wieder Amazon aus dem Zylinder geholt wird… In der Tat bleiben aber alle anderen „erfolgreichen Startups“ den Beweis schuldig sich gegen Handels-Know-How und eine agile Organisation im Multi-Channel in letzter Konsequenz durchzusetzen.
    Am Ende des Tages ist ja die Frage: was ist Erfolg? Und der definiert sich für mich nach wie vor über ein nachhaltiges Geschäftsmodell, welches dauerhaft in der Lage ist Gewinne zu erwirtschaften.
    Der Rest ist imo nur die aktuelle Online-Blase an der sich ein paar Investoren mit Unternehmen, die sich nicht die Mühe machen wollen sich mit Innovation auseinanderzusetzen, ein goldenes Näschen verdienen…

  7. Dann will ich mal zusammenfassen:
    Mobile
    Cloud Computing
    Multi-Channel
    … haben keine Zukunft.
    Alle Shopsysteme ausser Magento sind untauglich!
    Alle Berater sind pauschal doof!
    Alle Studien sind ein Fake!
    Na da erkennt man doch den Fachmann!

  8. HAHA – endlich gibts auch hier Trolle. Exciting commerce goes 4chan ;-)

  9. Gähn – noch so´n Fachmann.
    Scrolling Prosa mit Referenzierungen auf die eigenen Artikel, ts,ts,ts
    Polarisieren ist ja ok, aber der Artikel schiesst mal eindeutig über das Ziel hinaus.

  10. @Guter Freund: Wenn er denn hinausschießt, der Artikel, dann finde ich die Zustimmung der ersten Kommentatoren erstaunlich. Irgendwas scheint also dran zu sein.
    Mobile-Multi-Cloud-Channel-Commerce sind die aktuellen Goldquellen der Internetwirtschaft. Ich habe nicht behauptet, dass sie keine Zukunft haben, ich habe nur die Relevanz für den Handel bezweifelt.
    Mal anders gefragt: Würde die Internetwirtschaft ernsthaft andere E-Commerce-Systeme propagieren, wo doch die heutigen wahre Goldesel sind (vom Usability-Fachmann über den SEO-Spezialisten bis zum Online-Marketeer, die halbe Online-Branche lebt von den Unzulänglichkeiten der heutigen System).
    Magento ist nicht die Lösung, sondern das Symptom dafür, dass zumindest der Handel händeringend nach besseren E-Commerce-Lösungen sucht.
    Der Beitrag stellt ja nur dar, dass die Internetwirtschaft und der Handel unterschiedliche Ziele verfolgen. Das sollte man sich immer mal wieder bewusst machen.
    @Pascal Ich glaube in der Tat, dass der Handel in Sachen Online noch unmündig ist (Und ich meine hier das Management und die berühmten Entscheider und nicht die E-Commerce-Abteilungen)
    @Michael Tengelmann finde ich ein gutes Bespiel, wie man die divergierenden Interessen vereinen kann.
    @Thorben Es geht ja nicht darum, ob ein Dienstleister gut oder schlecht ist, sondern ob die Branche die richtigen Dienstleistungen anbietet, die den Handel wirklich voranbringen. Daran haperts mE.
    Ansonsten: Herzlichen Dank für die vielen Meinungen/Stimmen zum Thema!

  11. Welches sind eigentlich die erfolgreichen Magento-Shops oder wenigstens -Projekte Anfang 2011? Wer kennt _gute_ Beispiele?

  12. Hi Jochen,
    das Ganze sieht für mich so aus, als wollte Papa (bvh) mit der Tochter (BVDW) in die Disko (Online).
    Sprich: Man begibt sich als Händler in die Hände eines Partners der für ein Thema mehr Kompetenz hat und zudem auch noch davon/dafür lebt.
    Grundproblem der Händler ist dabei m.M. nach genau der Punkt den du angesprochen hast: Unmündigkeit in Sachen Online (v.a. bei klass. trad. Katalogversendern, insb. im Top-Management).
    Diese Unmündigkeit mache ich v.a. daran fest, dass viel zu oft (fast panisch) Me-Too-Konzepte umgesetzt werden bzw. schnell auf Trends aufgesprungen wird. Meist (und einzig und allein) nur um den Anschluss nicht zu verlieren. Strategisches Management würde ich aber anders definieren.
    Grund dafür ist meist fehlende Innovationskraft. Die meisten Prozesse in solchen Häusern sind strikt innovationsfeindlich, bzw. neue Ideen finden keinen Platz (viel Prozesse bei kataloggetriebenen Versendern sind auf Optimierung und nicht auf Innovation ausgerichtet).
    Zudem fehlt eine Vision wo man online hin will und genau diese Lücke machen sich Dienstleister zu nutze und versprechen regelmäßig die Lösung aller Probleme. Sie beraten damit nicht falsch bzw. liefern falsche Lösungen. Wenn aber auf der Gegenseite keine konrete Vorstellung vorliegt, fehlt der Bewertungsmaßstab für die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen.
    Ziel des BVH muss es daher sein, zukünftig seinen Mitgliedern die Notwendigkeit der Schaffung von Innovation zu verdeutlichen bzw. Partner für Visionen zu sein. Das fängt mit der Frage an: „Wie sieht mein Geschäftsmodell in 5-10 Jahren aus“ (und endet defintiv nicht mit der Antwort:“dann habe ich ca. 70-80% Online-Anteil“).

  13. Cooler Vergleich :-)
    Ich glaube inzwischen gar nicht mehr, dass die Innovationsfeindlichkeit – sei es in den Unternehmen oder in den Verbänden – das Problem ist.
    Es mangelt schlichtweg am Wissen und damit an der Vorstellungskraft, was online an Geschäftsmodellen möglich ist.
    Vor allem aber mangelt es an der Kompetenz (und das ist erstmal niemandem vorzuwerfen, denn woher soll sie auch kommen?), zu unterscheiden, wer einem wirklich (=ernsthaft) helfen kann und wer einem nur nach dem Mund redet.
    Deshalb lässt man sich auf viele „Innovationen“, aber leider auch „Best Practices“ ein, die einfach nicht zielführend sind.

  14. Wer will kann eine lobby für den Online-Handel gründen den passenden
    name gäbe es auch schon dafür Cloudlobby.

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