Studie: Multi-Channel-Strategien gehen am Kunden vorbei

"Multichannel oder No-Line-Handel – alles Quatsch, so das Ergebnis einer aktuellen Studie der Strategieberatung SMP und des Marktforschers Innofact." (Internetworld Business vom 31.5.2012)

Eine bemerkenswerte Repräsentativ(!)-Befragung hat dieser Tage für Aufsehen in der Branche gesorgt, die im Kern aber nur das unterstreicht, was Exciting Commerce Leser längst wissen: dass all die schön gefärbten Multi-Channel-Strategien nicht halten können, was sie versprechen:

"Kunden interessieren vernetzte Angebote im Handel kaum // Endverbraucher honorieren Exzellenz einzelner Vertriebswege stärker als Integration // Drei Viertel haben beim Wechsel zum Online-Geschäft schon einmal den Anbieter geändert"

Die Ergebnisse decken sich mit dem, was man seit Jahren beobachten kann: wie die auf das Online-Geschäft fokussierten Pure Player den (Versandhandels-)Markt treiben und dem stationären Handel Marktanteile abjagen, während die Multi-Channel-Versender mit ihren nett gemeinten Online-Auftritten allenfalls ihr eigenes Klientel bedienen, beim breiten Online-Publikum aber nicht Tritt fassen können:

  • Speziell der Otto-Konzern als einer der Wortführer in Sachen Multi-Channel beweist seit Jahren, wie er mit seinen Online-Versuchen ein ums andere Mal scheitert, und auch mit seinen Multi-Channel-Bemühungen im Online-Wettbewerb weit und weiter zurückfällt.
  • Media Markt freut sich, seine Kanalkonflikte nun schön langsam in den Griff zu bekommen, macht sich dabei jedoch mit seinem mehr als dürftigen Online-Auftritt zum Gespött der Online-Shopper.
  • Am Bittersten ist die Lage für den Buchhandel, der Amazon strategisch so rein gar nichts entgegenzusetzen hat. Für viele Buchverlage ist Amazon schon heute der Abnehmer Nr. 1, und Amazon wird dies natürlich zu nutzen wissen.

Mit einer Multi-Channel-Strategie kann man zwar zum umjubelten Helden auf "Branchenevents für Multi-Channel-Handel" werden, wo sich traditionell die Online-Skeptiker versammeln, um sich gegenseitig professionell Trost zu spenden und in Sicherheit zu wiegen und sich bei der Gelegenheit über die Verrücktheiten und die Unzulänglichkeiten der Onliner zu amüsieren. Zu einem führenden Online-Versender wird man auf diese Weise aber sicher nicht.

Strategisch denkende Händler sollten sich nicht zu sehr an ihr angestammtes Klientel klammern und sich hin und wieder mal vor Augen führen, wie sehr sie sich selbst beschränken, indem sie aus falsch verstandener Nostalgie ein (Markt-)Potenzial von 40 bis 50 Millionen aktiven Online-Shoppern links liegen lassen, das sie mit einer vernünftigen Online-Strategie problemlos ansprechen könnten, so aber widerstandslos (und verdientermaßen) ambitionierten Onlinern wie Amazon, Ebay, Zalando & Co. überlassen.

Nicht ohne Grund haben wir 2011 die K5 Konferenz ins Leben gerufen, um fernab aller Multi-Channel-Nostalgie die Lage im E-Commerce und die Wachstumspotenziale für den Online-Handel zu erörtern. Und wir sind sehr gespannt, welche Perspektiven die für 2012 erwarteten über tausend K5-Teilnehmer(innen) aus allen Handelssegmenten im gemeinsamen Austausch miteinander entwickeln.

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Kategorien:k5, Ultimondo

1 Antwort

  1. Interessant, wenn so eine Studie und neue Erkenntnis von der ehemaligen Strategie Schmiede von Quelle kommt.
    Leider zu spät für den damaligen Kunden gelernt, vielleicht kann SMP hierzu ja auch auf der kommenden K5 Konferenz was sagen…

  2. In einer idealen Welt könnte der stationäre Handel sowohl ein perfektes Kauferlebnis in seinen Filialen ermöglichen als auch innovative Online-Verkaufserlebnisse schaffen, die den Vergleich mit Online-Pure-Playern nicht scheuen müssten. Zudem wäre für eine perfekte (technische) Integration der Prozesse gesorgt.
    In der Wirklichkeit ist es fast unmöglich, alle diese Bereiche mit der gleichen Energie und Innovationsbereitschaft voranzutreiben; tanzt man strategisch auf mehreren Hochzeiten, werden die einzelnen Feste nicht ganz so rauschend.
    Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass aus Kundensicht alle Kanäle bespielt werden müssen und sich Synergieeffekte ergeben werden; nicht umsonst gehen ja Pure Player wie Amazon und Notebooksbilliger den Weg, in den stationären Handel einzusteigen.
    Zur Studie fällt mir spontan ein: Hätte man vor 20 Jahren die Menschen gefragt, ob sie mittels mobiler Geräte Fotos machen, diese papierlos verschicken und in 140 Zeichen kommentieren würden, wäre das Ergebnis ernüchternd ausgefallen. Wer soll ein gelungenes Multichannel-Konzept positiv bewerten, wenn es ein solches noch gar nicht gibt?

  3. Meiner Meinung nach muss ja Mulitchannel nicht heissen: ich mache einen Kanal richtig gut und den anderen nur so nebenher, oder?
    Ich stimme zu, dass die bestehenden Händler (Versandhandel oder brick & mortar) oft nicht erkannt haben, dass der Online-Kanal auch mit dem entsprechenden Fokus (und Budget) ausgestattet sein sollte. Aber Roman hat meiner Meinung nach komplett recht, wenn er auf die Synergieeffekte der Multichannel-Strategie hinweist.
    Ein gut etablierter Markenname wird immer auch im eCommerce eine große Hilfe sein – Thema Vertrauen, type ins und andere „kostenlose“ Marketing-Kanäle.
    Auch zeigen die Ansätze bei Media Markt, Douglas & Co, dass die Kunden es schon gut finden, wenn sie ihre Ware im Laden abholen oder retournieren können.
    Also so pauschal würde ich die Multichannel-Strategie nicht verteufeln. Das es eine Menge Verbesserungspotential gibt – keine Frage.
    Klingt ja beinahe so, als wäre es schwachsinnig, den Kunden auf mehreren Kanälen zu bedienen…

  4. Was man wirklich aus dieser Studie mitnehmen muss: 1. Es ist wichtiger, jeden Kanal den man hat (egal ob es nun einer, zwei oder mehr sind) für sich so gut wie möglich zu bespielen, als die Kanäle zwanghaft miteinander zu verheiraten. 2. Es ist dumm, nur der Konsistenz wegen oder weil man „es immer schon so gemacht hat“, Spielregeln aus dem Katalog oder Retail im Onlineshop oder ungekehrt anzuwenden.
    Ansonsten möchte ich die Schlussfolgerung, dass Multichannel totaler Quatsch ist, noch nicht teilen. Da leistet die Studie auch nicht genügend Überzeugungsarbeit, sondern bleibt in der Argumentation eher schwach. Zumindest halte ich Anteile von 30 bzw. 40% für alles andere als vernachlässigbar und dass Kunden bei einem Medienwechsel auch mal einen anderen Anbieter in Betracht ziehen überrascht auch niemanden mehr. Wer hat schon einen Relevant Set von 1?

  5. Gehen denn die Pure Player nicht gerade den Weg rückwärts zum staionären Handel? Bspw. Notebooksbilliger?. Und sind nicht klassische Versandhändler wie Globetrotter immens erfolgreich mit Ihrem Multi-Channel Business? Ich denke es liegt nicht am „ob“ sondern am „wie“. Wofür steht die Brand, wer sind die Kunden und wer leitet das Unternehmen. Und zum Thema Buchhändler: Wo dank Preisbindung kein wirklicher Wettbewerb stattfinden kann ist es eben schwer einem Amazon Contra zu geben.

  6. Ich finde, es sollte endlich mal genau differenziert werden, ob es um ein Unternehmen mit oder ohne Filialen geht. Multichannel geht doch erst beim Zusammenspiel Filiale – Online los. Ich finde die Definition von Otto als Multichannelhändler deshalb ziemlich gewagt. Evtl. sind einige Töchter wie z.B. Sport Scheck Multichannel, aber sicherlich nicht Otto selbst. Dementsprechend war auch Neckermann nie ein Multichannelunternehmen.

  7. Jochen wird das erst verstehen wenn zalando Filialen eröffnet!

  8. Spannend. Hat jemand die Studie schon gelesen? Ist diese jetzt vielleicht wirklich mal statistisch relevant? Wenn nein, habe ich nichts gesagt. Wenn doch: Ist ein neu/umdenken so schwierig? Sprich, den Tatsachen einfach mal ins Auge sehen?
    Denk…
    Denk weiter…
    Ach ja,
    MSH, Douglas etc. Super erfolgreich im Moment. Liegt aber nicht an der Strategie sondern am doofen Kunden, der diese nicht versteht….
    Fehler kann man machen, aber bitte lernen.

  9. Voila, jetzt im Box-Ring: Jochen Krisch versus Gerrit Heinemann:
    http://www.internetworld.de/Nachrichten/E-Commerce/Handel/Pro-und-Contra-Multichannel-Gerrit-Heinemann-gegen-Jochen-Krisch-Pflicht-oder-Quatsch
    P.S.: Mir persönlich als nicht so marketing- und aktionsaffinen Kunden ist ganzheitliches „Multi-Channel“ (also stationär plus Versand) herzlich egal. Den einzigen Vorteil, den ich persönlich aus so etwas zu ziehen vermag, ist die Abholung einer Online-Bestellung in einem stationären Laden in meiner direkten Umgebung („Click & Pick“). Das wird aber noch relativ selten angeboten.

  10. @Jochen Krisch
    wenn das Thema so heiß ist wie immer beschrieben, dann wäre ein genaues Lesen der Studie und eine etwas weniger reißerische Argumentation echt hilfreich.
    McTrek, Globetrotter, DM, Tchibo usw … alle fahren eigene Multichannel-Konzepte mit mind. erfolgreichen Click&Pick …
    Fragt doch mal eure Lieblingszielgruppe: Frau >30 Jahre … die stehen ganz sicher total auf PurePlayer!!!
    Manchmal wünsch ich mir echt etwas mehr Differenziertheit von Euch …
    Ps: Zalando hat quasi seine erste Filiale = hat Jochen es jetzt verstanden?

  11. das Schöne an excitingcommerce ist, dass aus der Summe aus Artikel („pure play ist eh am besten“) und Kommentaren („stimmt doch gar nicht“) erst ein rundes Bild entsteht.
    Natürlich muss jedes Unternehmen den individuell richtigen Weg für sein Business und seine Kunden finden.
    Auch bei Zalando wurde die strategische Weisheit nicht mit ganz großen Löffeln verabreicht. Zuerst wurde ein reiner copycat aufgebaut. Mittlerweile wird dort erheblich mit Multichannel (Outlets, M/Kataloge) und anderen Handelsthemen (eigene Marke / Kollektion) experimentiert.
    Wenn das „alles Quatsch“ wäre, dann haben „die“ (und viele andere genannte gute Multichannel Anbieter) ja alle keine Ahnung… Gut, dass wir das geklärt haben! ;-)

  12. Das Schöne an Exciting Commerce ist vor allem, dass es die Weisheit nicht gepachtet hat und Aussagen immer wieder an den Marktrealitäten prüft ;) Entsprechend freuen wir uns über repräsentativ durchgeführte Studien dieser Art.
    Und apropos „gute“ Mulitchannelanbieter: Ein schwimmender Vogel ist meines Wissens etwas komplett anderes als ein fliegender Fisch. Man kann beides in einen Topf werfen. Hilfreich ist es nicht.

  13. … mich ärgert vor allem die reißerische Aufmachung, das „Besserwissen“ in diesem Artikel. Das hat keinen schönen Beigeschmack.
    Was mich wundert: Da werden Multichannel-Unwissende nach etwas gefragt, dass Sie nicht kennen, geschweige denn dass Sie sich dessen Normalität in der Zukunft vorstellen können. … Wie hätte wohl vor 10 Jahren die Antwort eines Kunden auf die Frage nach Touchphones gelautet, der gerade ein Nokia 62xx gekauft hat?
    O2 zum Beispiel beweist längst, dass Multichannel funktioniert. Und es hängt natürlich immer am Geschäftsmodell und den Firmen selber. Hier kann man nicht alle Firmen über ein Kamm scheren.
    Dass man, wenn man etwas macht, richtig machen muss, gilt doch gerade im Internet erst recht. Das ist keine neue Erkenntnis. Das halbherzige „Bespielen“ eines Kanales und dessen Erfolgslosigkeit, nun als Argument für das Scheitern des MC insgesamt heranzuziehen ist nicht stichhaltig. Wenn ich Kunden aus dem Store in den Onlineshop ziehe, muss dieser natürlich perfekt sein und dem Kunden eher mehr als weniger Erlebnisse, Emotioenen und trotzdem angemessene Preise bieten.
    Meine Erfahrungen aus ähnlichen Projekten lautet:
    – Mach es richtig
    – Mache es so, wie es für den Kunden gut und sinnvoll ist.
    Dann ist auch Multichannel erfolgreich.
    Wenn Multichannel rein business-getrieben auf ein bestehenden System ge*app*t wird, wird es auch scheitern.
    Es sind auf jeden Fall Umstrukturierungen und andere Incentivierungsmodelle erforderlich um Grabenkämpfe zu vermieden und die Energie, die erfolgreicher MC sicherlich benötigt, nicht schon innerhalb der Firmenstrukturen zu verlieren. Vor allem benötigt es einen kreativen Geist der Lust und Spaß daran hat kanalübergreifend zu denken und der dem MC Leben einhaucht. Dieser kreative Geist wird durch diese fragwürdige Studie, bzw. durch diesen Artikel leider unnötig verunsichert.

  14. Multichannel funktioniert! Während meines Studienjahrs in den USA konnte ich das bei Walmart beobachten. Amerikanische Freunde haben das Onlineangebot gelegentlich genutzt. Wobei Walmart auch so verbreitet ist, wie es Schlecker hierzulande war. Damit lassen sich besonders interessante Konzepte realisieren.
    Wobei mich mein Gefühl auch täuschen kann, Zahlen habe ich nicht.

  15. Eigentlich geht’s in der Studie im Cross-Channel und nicht um Multi-Channel. Nur die IWB hats in Multichannel verwandelt. Oder benutzt ihr die Begriffe synonym?

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