Otto Bilanz 2010: Schafft Otto den Evolutions-Sprung?

Martin Groß-Albenhausen, der sich als Versandhausberater in den Jurassic Parks des deutschen Versandhandels so gut auskennt wie kaum ein anderer, greift in seinem Blog die Otto Bilanz 2010 auf und plädiert in seinem sehr lesenswerten Beitrag für mehr Verständnis für ein Unternehmen, das sicherlich sein Bestmögliches tut, um den Umbruch so reibungslos wie möglich zu gestalten. Aber hilft es einem Unternehmen wie Otto wirklich, es unter Artenschutz zu stellen und in der Bewertung deshalb besonders gnädig zu sein?

Exciting Commerce verfolgt vom ersten Tag an ("Die Zukunft des E-Commerce") einen sehr radikal markt- und wettbewerbsorientierten Ansatz. Strategien und Konzepte werden anhand ihrer Wettbewerbsfähigkeit und ihrer Zukunftsrelevanz untersucht, relativ unbeeindruckt von der Herkunft eines Unternehmens und ob es schon reif für die Zukunft ist oder nicht. Das wirkt im ersten Moment hart und unbarmherzig, ist aber konstruktiver gemeint als es scheint.

Den Exciting Commerce Einschätzungen liegt ein sehr ursprüngliches Evolutionsverständnis zugrunde, das auf einem Wettstreit der Ideen basiert und die höchste Bedeutung nicht der Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens beimisst, sondern der Selektionsfähigkeit, d.h. von zwei Konzepten wird sich das durchsetzen, das am besten für die Zukunft gerüstet ist. Sobald man erkennt, dass das eine Konzept keine Überlebenschance mehr hat, muss man sich davon verabschieden.

Letzteres fällt traditionsreichen Unternehmen naturgemäß sehr schwer ("Wirtschaft im Wandel"):

"Regelmäßig kommen Firmen und ganze Branchen mit radikalem Wandel nicht
klar. Unfähige Manager sind nicht der einzige Grund. Betriebswirte
bieten jetzt eine genauere Erklärung dafür, woran die Unternehmen
scheitern."

Evolution ist diskontinuierlich und vollzieht sich in Sprüngen. Leider kommt im Managementdenken Evolution in dieser, seiner ursprünglichen Form, nicht vor. Evolution wird dort immer noch als kontinuierlicher Prozess, als gestaltbarer Übergang verstanden und selten als radikaler Umbruch. Begriffe wie Konvergenz, Multi-Channel, etc. zeugen von dieser Denke, die auf Kontinuität setzt.

Diese Denkweise macht auch Sinn, solange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. Doch genau diese Rahmenbedingungen haben sich mit dem Internet geändert, wie Thorsten Boersma sehr schön beschreibt:

"Als sich Mitte der 90er Jahre die ersten Online-Shops im Internet
zeigten, glich dies einer Sensation.

Online-Shops galten als neue
Vertriebskanäle und wurden als Modifikation des klassischen
Versandhandels gesehen. Die letzten Jahre offenbarten sehr deutlich, wie
falsch diese Einschätzung war.

Das Internet repräsentiert,
anders als damals angenommen, keinen neuen Vertriebskanal, sondern
definiert als disruptive Technologie den gesamten Handel neu."

in der aktuellen Multi-Channel-Debatte kommt dieser Evolutionssprung sehr deutlich zum Ausdruck. Es zeigt sich, dass Online-Handel und Katalogversand zwei radikal unterschiedliche Konzepte sind. Martin Meinrenken hat das in seinem Beitrag sehr schön herausgearbeitet.

Inzwischen kann man deshalb sagen, ohne gleich gelyncht zu werden: Aus einem Katalogversender wird niemals ein Online-Versender und umgekehrt. Wenn, dann nur, wenn das eine Geschäftsmodell radikal durch das andere ersetzt wird.

Deshalb kann man sich bei der Analyse von Unternehmen wie Otto auf zwei wesentliche Aspekte konzentrieren:

  • Wie zukunftsfähig sind die (Online-)Konzepte?
  • Wie schnell kann sich Otto von seinen Altlasten befreien?

Genau das habe ich in der Otto Bilanz 2010 nun schon im fünften Jahr getan, sehe erste, leicht positive Tendenzen im ersten Bereich, aber noch kaum Bewegung geschweige denn ein Bewusstsein dafür im zweiten Bereich. Hier fährt Otto immer noch mit Vollgas auf die Wand zu.

Wen dieses Thema interessiert, dem kann ich sehr Erik D. Beinhockers Entstehung des Wohlstands ("Wie Evolution die Wirtschaft antreibt") ans Herz legen.

Darin beschreibt er wissenschaftlich strukturiert, aber durchaus lesbar, wie Evolution in der Wirtschaft funktioniert, welche Entitäten eines Unternehmens eigentlich im evolutionären Wettstreit stehen. Und wie Unternehmen, die evolutionär denken (Microsoft ist ein gutes Beispiel) den Übergang meistern, indem sie eine zeitlang mehrgleisig fahren, ehe sie sich dann für ein Gleis entscheiden und radikal nach vorne preschen.

Speziell Internet- und Technologie-Unternehmen, die dem Wandel voll ausgesetzt sind, kommen an dieser Denke kaum vorbei. Intel und Cisco waren hier sicherlich Vorreiter, aber auch Google, Apple, Nokia müssen sich (und ihre Branchen) kontinuierlich neu erfinden, um mit vorne dabei zu bleiben.

Frühere Beiträge zum Thema:



Kategorien:Ultimondo

Kommentar verfassen

%d Bloggern gefällt das: