Wie lange bleibt den Alt-Versender noch? – bzw. wie schnell könnte beispielsweise aus der Otto Gruppe eine Hermes-Gruppe werden ("Quo vadis, Otto")?
Das sind derzeit spannende Fragen für den deutschen Versandhandel, der die Zeichen der Zeit jahrelang verkannt hat und nun in einer Falle sitzt, aus der es nach 10 verlorenen Jahren kaum noch ein Entrinnen gibt.
Nach dem ersten Klartext-Interview ("Wir brauchen mehr erfolgreiche Firmen in der Gruppe") kürzlich in der Welt, hatte die FAZ in dieser Woche ein sehr aufschlussreiches Interview mit Otto-Chef Hans-Otto Schrader, in dem er sich zum durchwachsenen Geschäftsjahr äußert und der Öffentlichkeit jede Menge neuer Fakten und Informationen zum Zustand der Otto-Gruppe liefert.
In dem Interview wird vieles von dem aufgearbeitet, was wir in den vergangenen Wochen im Zuge der Otto Bilanz 2009/10 beschrieben haben. Deutlich wird, wie das Kataloggeschäft weit schneller einbricht als erwartet, wie die Vergangenheit zur Belastung wird und wie sich zunehmend die Frage stellt, ob Otto den Evolutions-Sprung je schaffen wird. Gerade beim Thema Online scheint die Blauäugigkeit noch ungebrochen.
So schwärmt Hans-Otto Schrader von "unserer ausgeprägten Online-Affinität", räumt aber nur wenig später ein, dass bei Otto ohne Katalog online weiter so gut wie gar nichts geht:
"Nein, den Katalog brauchen wir weiterhin. Das haben Tests bestätigt: Bei einzelnen Versandmarken haben wir den Anteil der Kataloge
signifikant zurückgefahren, ohne das Online-Angebot zu schmälern. Das
Ergebnis war eindeutig: Die Kunden kauften weniger, und zwar auch
diejenigen, die ohnehin immer im Internet bestellen."
(vgl. zur letzten Aussage auch die Erfahrungen von Neckermann nach dem Online-Schock in der Schweiz)
Otto leistet sich heute noch einen Hauptkatalog, der, so Schrader, "weniger als 20 Prozent" zum Umsatz beiträgt. Insgesamt lässt sich Otto die Kataloge jährlich 100 Mio. Euro kosten.
Seit über einem Jahrzehnt vertröstet sich der Otto-Konzern und verfehlt ein ums andere Jahr die selbstgesteckten Ziele. Berechtigt sind deshalb Fragen wie:
"Herr Schrader, Sie wollten im
Geschäftsjahr 2009/10 im Kerngeschäft Versand- und Einzelhandel
eigentlich Gewinn machen. Doch es wurde ein Verlust von 93 Millionen
Euro. Was ist passiert?"
oder:
"Bevor der Eigentümer Michael Otto Ihnen vor knapp drei Jahren den
Vorstandsvorsitz übergab, hatte er gesagt, es gebe keinen
Restrukturierungsbedarf mehr. Doch bald darauf mussten Sie sehr wohl
tüchtig umbauen. Im Kerngeschäft Versand- und Einzelhandel hat der
Konzern zwei Jahre in Folge Verlust gemacht. Wie konnte Michael Otto so
sehr irren?"
oder:
"Ohne den Verkauf von Firmenbeteiligungen wie Cofidis hätte die
Otto-Gruppe 2009/10 auf Konzernebene einen Verlust ausgewiesen. Retten
Sondererträge auch im laufenden Jahr das Ergebnis?"
Man merkt Hans-Otto Schrader an, wie er sich nun zunehmend von seinem Vorgänger abzusetzen versucht, der ihm vieles von dem eingebrockt hat, was er heute ausbadet.
Denn zugute halten kann man dem Otto-Chef, dass seit seinem Amtsantritt jede Menge Zukunftsinitiativen gestartet wurden und vor allem die Aufklärung in Sachen Internet im Gesamtunternehmen nun sehr viel aktiver vorangetrieben wird.
Nur mit der Vergangenheitsbewältigung, da tut auch er sich weiter schwer. Entsprechend hangelt sich Otto von einer Notoperation zur nächsten. Aber wie lange bleiben Otto noch für wirklich radikale Schritte?
"Im Moment planen wir keine größeren Firmenverkäufe – im Gegenteil: Wenn
sich gute Möglichkeiten ergeben, werden wir das Portfolio durch gezielte
Zukäufe ausbauen. Derzeit prüfen wir konkrete Angebote für den Erwerb
von Ladenketten und Online-Konzepten."
Zum vollständigen Interview, in dem wieder viele PR-Aussagen der letzten Wochen relativiert werden.
Kürzlich hatte sich schon der Otto-Finanz- und IT-Vorstand Jürgen Schulte-Laggenbeck zu den technischen Herausforderungen geäußert, die Otto nun doch angehen will:
"Bislang hatten wir vor allem selbst entwickelte Systeme im Einsatz. Das
lief auch lange Jahre gut, aber durch die immer neuen Anforderungen an
die IT beispielsweise durch den Onlinehandel und mobile
Einkaufsmöglichkeiten müssen wir verstärkt auf Schnelligkeit und
Flexibilität setzen. Unsere eigenen Systeme waren eher monolithisch,
nicht modular.Außerdem haben wir es beispielsweise im Bereich Service
bei Hermes mit Kunden zu tun, für die wir Dienstleistungen erbringen.
Deshalb muss unsere IT nicht nur leistungsfähig, sondern auch kompatibel
mit den Systemen unserer Mandanten sein."
Während bei Otto generell eher Mitarbeiter abgebaut weden, sucht der Konzern für alle Zukunftsbereiche derzeit händeringend nach neuen Leuten. Die eStarter wollen Lust auf Otto machen, denn schließlich ist die Otto Group "anders als du denkst!" – im positiven wie im negativen Sinne.
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Die zukünftige Entwicklung der Otto Gruppe dürfte nach meiner Meinung stark davon abhängen, ob sie es schaffen eine Führungsmannschaft zu installieren, die nicht durch den alten Versandhandelsrucksack behindert werden und genug Energie, Flexibilität und Motivation besitzen, weil sie noch etwas bewegen möchten, bevor sie sich aus dem Arbeitsleben verabschieden.
Ein weiterer Faktor ist die Schnelligkeit bei der Umsetzung von Projekten. Hier fällt mir wieder mein Spruch der letzten Woche von Mark Twain ein „Kontinuierliche Verbesserungen sind besser als hinausgezögerte Vollkommenheit“.
Wie man Onlineshops schnell ans Netz bringt und auch Traffic ohne Katalog erzeugen kann, zeigen Unternehmer wie z.B. die Samwers mit Zalando. Mirapodo ist dagegen, für mich als Verbraucher und Kunde, gar nicht sichtbar.
Als der Markt für die Kunden noch nicht transparent war, hatten Universalversender Ihre Berechtigung. Heute, wo ich im Internet jeden kleinen Spezialisten finde und auf sein tiefes Angebot und Produkt-Knowhow zurückgreifen kann, ist das Universalversandhandelsmodell ein Auslaufmodell.
Jetzt noch viele kleine flexible Einheiten zu gründen, dürfte zu spät sein. Eher eine Vielzahl von kleinen Spezialisten kaufen und entwickeln. Für die Otto Gruppe wahrscheinlich der einzige Weg.
“Wie man Onlineshops schnell ans Netz bringt und auch Traffic ohne Katalog erzeugen kann, zeigen Unternehmer wie z.B. die Samwers mit Zalando. Mirapodo ist dagegen, für mich als Verbraucher und Kunde, gar nicht sichtbar.”
Mag sein dass Zalando bekannter ist und mehr Traffic hat aber ob sich das auch rechnet ist eine andere Sache. Mirapodo hat kalkulatorisch sicherlich einen anderen Anspruch.
“Als der Markt für die Kunden noch nicht transparent war, hatten Universalversender Ihre Berechtigung. Heute, wo ich im Internet jeden kleinen Spezialisten finde und auf sein tiefes Angebot und Produkt-Knowhow zurückgreifen kann, ist das Universalversandhandelsmodell ein Auslaufmodell.”
Dann kann wohl Amazon einpacken? Irgendwie passen die Zahlen von Amazon nicht zu dieser Aussage :)
Doch, die passen schon dazu. Amazon macht nicht das, was Otto macht (Ware einkaufen und verkaufen). Amazon ist stark im Buechervertrieb und waechst als Marktplatz bei dem sie sich ein Teil vom Umsatz anderer (Hersteller oder Haendler) abschneiden. Sehr profitabel ist dieses Geschaeft im Ganzen aber auch nicht, wenn man die aktuellen Amazon-Zahlen so sieht. Otto kann aus Otto.de sowas machen, wie Amazon, wird dabei aber immer zweiter Sieger sein, denn Amazon kann aufgrund der 100%igen eCommerce-Orientierung immer schneller sein und die Trends bestimmen. Ich sehe es genau wie Andreas. Die einzige Chance, die Otto wirklich hat, ist sich als Holding ueber sehr viele hochspezialiserte Online-Haendler zu stellen und zu hoffen, dass da ein paar gute dabei sind. Sie haben ja jetzt schon einige in ihrem Portfolio, die sich online alles andere als schlecht schlagen.
Ob sich Zalando rechnet, kann ich nicht sagen, das werden wir sehen, wenn die Samwers sich von Zalando trennen. Die Samwers betreiben auf jeden Fall kein Geschäft lange, mit dem sie kein Geld verdienen.
Amazon ist eine Shoppingplattform, die durch die Anbindung von externen Onlineshops und die dadurch erreichte Warenvielfalt erst für den großen Teil der Masse interessant ist. In meinen Auge kein echter Universalversender. Wenn ich einen Warenkorb bei Amazon zusammenstelle bekomme ich immer noch verschiedene Lieferungen von den angebundenen Händlern (die ich auch einzeln bezahlen musss) und ist daher nicht mit einem “normalen” Universalversender vergleichbar. Obwohl man von diesen die Ware auch meistens in mehreren Lieferungen bekommt. Amazon besitzt perfekt auf den Onlinehandel abgestimmte Systeme und kommt ohne Katalog aus. Es gibt da also schon sehr große Unterschiede zu traditionellen Universalversendern. Der Vergleich hinkt daher ein wenig.
renditestarke große reine onlinehändler scheint es aber keine zu geben. renditestarke große mulitchannelversender aber schon walbusch, conrad, klingel etc.
Hallo all, wisst ihr eigentlich wovon ihr redet?
Amzn hat eine Ebitda Marge von ca. 4,6% bei einem Wachstum von ca. 20-40% und das jedes Jahr. Alle hier genannten und noch weitere Beispiele können dagegen im Vergleich zu diesen Zahlen einpacken. Das ist nicht abwertend gemeint, aber man sollte schon Fakten sprechen lassen.
Und Amzn ist ein Händler, der Marktplatz dient der Ergänzung und Amzn lernt für das eigene Sortiment und kopiert dann. Und wenn man JB glaben möchte (was man sollte), will Amzn alles Anbieten. (Könnte man auch Universal nennen)
Und Zalandos CPO ist sicherlich nicht von dieser Welt, Zalando sicher damit heute rot. Aber das war bestimmt auch nie die Idee heute Gewinn zu machen. Geschäftsmodell kopieren, wie auch immer (s. Groupon) aufblasen und rechtzeitig an irgendeinen (meistens dummen) verkaufen.
Und schon wieder ein paar Millionen verdient. Echt smart.
Pillepalle hat absolut Recht.
Man sollte das ganze auch nicht zu sehr dramatisieren – ein Konzern in dieser Größe braucht eine Gewisse Zeit um die Weichen in eine neue Richtung zu stellen. Und die neuen Startups machen einen guten Eindruck – Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.
@pillepalle u. @roland
Genau zappos hat auch noch nie Geld verdient
@ Stefan: Heisst jetzt genau was?
Wenn Otto versucht, Amazon zu kopieren, haben sie keine Chance. Amazon ist immer mind. 2 Jahre vorneweg und nicht den Klotz einer ueberholten Konzernstruktur am Beim. Otto muss relativ schnell versuchen, den eCommerce-Ideen im eigenen Konzern Freiraum zu geben und ggf. zuzukaufen.