Netrada-Investoren schreiben 500 Mio. Euro in den Wind

Eine wirkliche Vorstellung davon, was die Netrada-Insolvenz für den Online-Handel bedeutet, scheint sich die (Branchen-)Öffentlichkeit noch nicht zu machen.

Wie Matthias Schrader in seinen Einschätzungen anmerkt, haben die Eigentümer damit binnen 5 Jahren rund 500 Mio. Euro in den Wind geschrieben:

Netrada

"Ich
befürchte die Auswirkungen der Netrada-Insolvenz werden immer noch
unterschätzt.

Wenn ein Private Equity Fond wie Apax mit 20 Mrd Einlage für eine Beteiligung, die er vor 5 Jahren für rund 500 Millionen übernommen hat, über sein selbst eingesetztes Management (PDF) Insolvenz anmelden lässt, glaubt er nicht mehr an das Geschäftsmodell
und, schlimmer noch, die Chance, die Beteiligung selbst mit einem hohen
Abschlag zum Erwerbspreis zu veräußern.

Außer Hermes fällt mir spontan
keiner ein, der eine Fortführungsperspektive entwickeln könnte. Ohne
Synergien mit einem bestehenden Geschäft scheinen die aktuellen
Outsourcing-Verträge keine Werthaltigkeit zu besitzen."

Weder für die umsatzstarken Online-Modeanbieter wie Esprit, C&A & Co., die auf Netrada gesetzt haben, noch für die Logistikbranche an sich ist derzeit absehbar, was solch eine Bankrotterklärung an Folgen nach sich zieht.

Neben der Netrada Holding und Netrada Europe haben inzwischen drei weitere Netrada-Töchter Insolvenz angemeldet.

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Kategorien:Shopboerse

  1. Den Worten von Matthias Schrader ist nichts hinzuzufügen. Recht hat er. Auch wenn das für die Beteiligten bitter ist.

  2. Ich bin noch gar nicht schlüssig, was diese Insolvenz zu bedeuten hat.
    Wenn Matthias Schrader recht mit der Einschätzung – und ja ggf. einem deutlich besseren Insight – hat, so ist dies eine alarmierende Aussage für die ganze Branche.
    Immerhin würde dies bedeuten, dass es selbst mit vergleichsweise großen Margen (Hugo Boss, Esprit, Lacoste, …) nicht mehr möglich wäre, die grundlegenden Geschäftsprozesse über Dienstleister zu finanzieren – nicht einmal vor dem Hintergrund einer Restrukturierung durch das selbst eingesetzte Management.
    Für wirklich realistisch halte ich die Probleme durch deutlich zu große Wachstumsambitionen und damit verbundenen “Fehl”-Investitionen. Doch selbst hier stellt sich die Frage ob ein Investor ein derart hohes Engagement ohne weitere Maßnahmen abschreibt.
    Doch evtl. handelt es sich bei dieser Insolvenz ja gerade um eine Maßnahme zur schnellstmöglichen Sanierung? Ohne das vergleichsweise enge Korsett gesetzlichen Arbeitnehmerschutzes und mit der Möglichkeit erhebliche Verbindlichkeiten hinter sich zu lassen (im Baugewerbe nicht ganz unüblich) könnte man ein an sich funktionierendes Geschäft, evtl. mit neuer Eigentümerstruktur, in eine möglicherweise unbelastetere Zukunft führen – und zwar um unrealistische und unnötige Ambitionen erleichtert.
    Auch wenn dies ein zugegebenermaßen sehr(!) riskanter und dank deutschem Insolvenzrecht nicht immer steuerbarer Prozess wäre… zugegeben. Außerdem verlieren Unternehmen im Laufe eines solchen Prozesses oftmals wichtige Ressourcen, seien es Mitarbeiter oder Dienstleister, und nicht zu vernachlässigen, das Vertrauen der Kunden.
    In jedem Fall bin ich gespannt, wie sich dieses Thema entwickelt… Vielleicht steht es auch wirklich einfach schlecht um den deutschen Online Handel.

  3. ich halte diese negative aussagen für übertrieben . dass das geschäftsmodell über <FSP funktioniert beweist unsere unternehmensgruppe jeden tag aufs neue . mit Freshtex als logistic und retouren und wiederaufbereitungs dienstleister , sowie fortuneglobe als software und shopanbieter mit allen notwendigen anwendungen bedienen wir ca 30 shops moistens im fashion business.
    ich denke kernpunkt ist hier , die prozesse effizient zu gestalten und die expansion der kapitaldecke anzupassen . ein schönes , neues logistikzentrum bedeutet nicht automatisch effizienz sondern ist immer auch ein bischen showcase
    wir sehen den online handel im fashion bereich äusserst positive und weiterhin als zukunftsmodell

  4. @vanDaeniken
    Ich denke, die Sache ist nicht alarmierend für den Online-Fashion-Vertrieb sondern für das Fullservice-Geschäftsmodell, wie es Netrada betreibt und einige andere auch, die den Online-Vertrieb für grosse Marken als Dienstleistung übernehmen.
    Man muss ja mal nach den Gründen fragen, warum die Brands ihren eCommerce outsourcen. Die Fullservice-Dienstleister erklären uns, ihre Kunden tun das, weil sie die Inhouse-Kompetenz nicht haben. Das mag richtig sein, aber meistens ist es so, dass die Brands keine Online-Strategie haben und deswegen auch dort nicht investieren wollen. Und was liegt da näher, als die Kosten komplett rauszugeben und einfach nur einen Teil des Umsatzes abzugeben, was sie ja durch ihr Handelsgeschäft eh tun, was also überhaupt nicht stört.
    Frei nach dem Motto: “Wir verkaufen auch online”. Ich habe einige Business-Pläne von Brands gesehen, die ihr Online-Geschäft rausgegeben haben. Die gehen alle von Break-even nach spätestens 12 Monaten aus, am liebsten würden sie gleich ab der ersten Order Gewinn machen. Das Risiko nehmen ihnen aber dann die Fullservice-Dienstleister wie Netrada ab. Und das ist das Grundproblem.
    Ich sehe tatsächlich das Fullservice-Geschäft für Brands als gescheitert an. Das wird nie und nimmer funktionieren.
    Netrada sollte sich auf standardisierte Fulfillment-Leistungen beschränken und dort richtig gut werden / bleiben. Und ansonsten die Kunden nach Aufwand bezahlen lassen, damit die ursprüngliche Intention funktioniert: Brand hat keine Expertise und ersetzt diese mit Geld. Dann können auch die Fullservice-Dienstleister leben. Mit dem Fullservice-Vertrag die Markenhersteller von ihren Investitionskosten zu befreien, ist keine gute Idee. Das müssen auch die Brands lernen.

  5. Die Herausforderung beim Outsourcing besteht darin, dass beide Partner sich mit den Chancen und Risiken des Geschäftsmodells auskennen müssen. (das würde ich bei Netrada mal annehmen…) Hierzu passend muss auch das Vergütungsmodell aufgestellt sein.
    Verhängnisvoll kann sich das (von Netrada präferierte) Net Sales Model auswirken, wenn die Umsätze mal nicht kontinuierlich wachsen, die Retourenquote steigt und der Lagerbestand im Verhältnis zum Umsatz deutlich zu hoch ist. Die Ursachen hierfür liegen selten beim Dienstleister, sondern meistens beim Anbieter.
    Ebenfalls kann eine Investition in optimierte Infrastruktur an bestehenden oder neuen Standorten aus der Dienstleistungsfee heraus nur beim Einhalten der geplanten Business Szenarien realisiert werden. Selten beteiligen sich die Anbieter hieran.
    Es sollte kein Geheimnis sein, dass die Fulfillment Branche in den letzten Jahren stets mit niedrigen Margen zurechtkommen musste. Entgegen Investitionen in Marke und Marketing werde Fulfilment Kosten meist als notwendiges Übel angesehen und nicht als Bestandteil einer strategischen Ausrichtung für Service und Kundenbindung. Daher wird um jeden Cent gefeilscht, anstelle eine Optimierung von Geschäftsprozessen im Zusammenspiel von Anbieter und Dienstleister im gemeinsamen Interesse anzustreben. Erschwerend bekämpft sich die Fulfilment Branche oft selber, da in Ausschreibungen und Vertragsverlängerungen oft einer der Dienstleister den Kunden unbedingt gewinnen (behalten) will und dafür notfalls auch nicht kostendeckende Vergütungen in Kauf nimmt.
    Das Schwungrad von Netrada und seinen Kunden ist allerdings so groß, dass sich bestimmt eine (wie auch immer geartete) Fortführung ergeben wird. Spannend ist, wer hier am Ende des Tages investiert und ob das sehr intransparente Full Service Modell von Netrada dabei überleben wird. Zumal bei diversen Bestandskunden derzeit sicher die Telefonleitungen glühen werden… Kunden in der Größenordnung von Esprit und C&A können aber kaum mal eben auf die Schnell woandershin migriert werden….

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