Nachdem sich die Otto-PR nach der Bekanntgabe der "E-Commerce"-Umsätze in der vergangenen Woche wieder über zahlreiche Hofberichte freuen konnte, berichtet das Manager Magazin in der aktuellen Ausgabe, womit Otto wirklich zu kämpfen hat – und beschreibt unter der Überschrift "Auslaufmodell" einen "Katalog der Schwäche".
Beide großen Versandhandelsgruppen sind sich mittlerweile sehr wohl bewusst, dass ihr Stammgeschäft dem Untergang geweiht ist und dass sie im elektronischen Versandhandel nicht so recht vorankommen. Beide gehen allerdings sehr unterschiedlich damit um: Arcandor ist in Aktionismus verfallen und inszeniert seinen Niedergang im Stil einer täglichen Reality Soap. Da lohnt es sich, in den entscheidenden Phasen immer mal wieder "live ins Haus" zu schalten. Momentan wäre beispielsweise MyBy ein gefundenes Fressen.
Anders bei Otto: Dort geht es gewohnt seriös zur Sache, es herrscht aber offenbar eine panische Angst vor der Panik und deshalb ist der Konzern in eine Art Schockstarre verfallen, aus der er sich nur langsam löst. Wo Arcandor und Primondo rotieren, vollziehen sich bei Otto weiterhin sämtliche Entwicklungen in Superzeitlupe (tödlich für eine Live-Berichterstattung ;-)
Dazu passen auch die Aussagen von Konzernchef Hans-Otto Schrader im Manager-Magazin, der die Otto Group zwar in einem Umbruch sieht, aber in einem "gewollten, bewussten, planmäßigen Umbruch". So wohlig-angenehm kann Veränderung sein!
Derlei Aussagen sind deswegen fatal, weil sie implizieren, dass Otto wüsste, wo es lang geht. Das kann aber momentan keiner wissen, und wer es vorgibt, macht sich Illusionen.
Die einzige Chance für Unternehmen, die auch in Zukunft vorne mitmischen wollen und den radikalen Wandel aktiv gestalten wollen, bestünde darin, auf Teufel komm raus zu experimentieren, breitgefächert mit Hypothesen zu arbeiten, diese täglich erneut auf den Prüfstand zu stellen und sich so mit der Zeit ein Bild von der Zukunft zu erarbeiten.
Otto und Arcandor haben (wie viele Großkonzerne) noch keinen Weg gefunden, Innovationsprozesse evolutionär zu gestalten. Einmal im Jahr ein Smatch oder Limango dürfte bei weitem nicht ausreichen, um den Niedergang aufzuhalten.
Besser als mit diesem Chart kann man es kaum verdeutlichen: Die Zukunft des Versandhandels ist offen. Deshalb ist es immer wieder erstaunlich, warum ein so mächtiger und einflussreicher Konzern wie Otto seine Chancen nicht besser nutzt und sich an die Spitze der Bewegung setzt. Niemand mit einer großen, wagemutigen Idee würde sich derzeit ernsthaft an Otto wenden. Aber müsste nicht genau das das Ziel sein?
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Hallo Jochen,
anbei noch einige Bemerkungen aus meiner Perspektive heraus. Ich gebe dir dahingehend recht, dass der Versandhandel und insb. die beiden großen Distanzhandelskonzerne nicht gerade die Innovationstreiber eines sicht wandelnden Distanzhandelsmarkt sind.
dafür gibt es meiner Meinung nach folgende gründe:
1. Abhängigkeit von veralteten IT-Prozesslandschaften
Im Gegensatz zu vielen Startups sind bei den großen Versendern alle IT-prozesse noch auf das traditionelle Geschäftsmodell (Katalog) ausgerichtet. Startups haben den Vorteil ihre Prozesse gemäß den sich wandelnden Markterfordernissen anzupassen (Kunde im Fokus aller Prozesse). Dies in Verbindung mit einer IT-Infrastruktur, bei der nur wenige den Gesamtüberblick über alle Prozesse haben, macht die klass. Versandhändler im Innovationsgrad langsamer. Dies hat sich zwar in den letzten Jahren deutlich gebessert und man hat erkannt, dass IT zentraler Erfolgsfaktor ist, jedoch ist der Nachholbedarf zum Markt noch groß.
2. Hohe Kapzitätsbindung durch alte Prozesse und starke Rillenoptimierung
Innovation entsteht immer dann, wenn jemand Zeit hat sich Gedanken zu machen und Dinge neu zu denken. Viele Prozesse der großen Versender sind allerdings aufgrund historischer Entwicklung mittlerweile so komplex, dass die Kapazitätsbindung so enorm ist, dass kaum Zeit für Innovation von Ihnen bleibt. Oft wird zudem der Fehler begangen bestehende Prozesse noch optimierter auszugestalten, was die Kapazitäten weiter bindet, aber nur noch Rillenoptimierung darstellt. Eine Katharsis bestehender Kapazitätsbindungsprozesse ist quasi unmöglich.
3. E-Commerce nur bedingt in Gesamtorganisation integriert.
Was zum einen gut ist (E-Commerce als vom marketing losgelöster isolierter Bereich) und damit Innovation fördert, verpufft spätestens dann, wenn es darum geht gefundene positive Erkenntnisse groß aufzuziehen und als Kernprozess für das Haus zu implementieren. Hier bestehen definitv deutliche Philosophieunterschiede zwischen E-Commerce-Leuten und Klass. Bereichen, die durch die Organisation (zwei-Klassen-Gesellschaft) nicht gelöst werden.
So ich mach hier erstmal Schluss …
Gruss
Christian Martin
Noch ein Punkt:
4. Strikte rentabilitätsorientierte Denkweise
An sich nichts Verwerfliches, wenn man rentabilitätsorientiert und damit wirtschaftlich denkt. Die Mechanismen diesbezüglich sind bei den großen Versendern auch in den letzten Jahren so ausgereift, dass es relativ schwer ist ein neues, schwer prognostizierbares (innovatives) Projekt durch die Zentral-Controlling-Abteilungen zu bringen (und Gelder bewilligt zu bekommen). Deshalb bleiben innovative Ansätze meist auch auf der Strecke oder werden mit soviel (klassischem) Konsens und Sicherheitsdenken wieder entkräftigt, und um damit Innovation kaum mehr aktiv treiben zu können.
Gruss
Christian Martin
Die angeführten Punkte sind sicher nicht vom Tisch zu weisen und enthalten viel, dass in einem Konzern wie OTTO angegangen werden muss.
Interessant auch die Punkte von Christian Martin. Diese kann bestimmt jeder nachvollziehen, der einmal eine komplexe Organisation wie OTTO kennengelernt hat.
Eine Anmerkung aber auch von meiner Seite. Warum immer nur die schwerfälligen Prozesse der Wandlung eines traditionellen Versandhandelskonzern niedermachen?
Die otto group ist wesentlich mehr (!!!) – und hier meine ich nicht nur neuartige Konzepte wie smatch.com oder limango.
Es gibt einige, im Startup-Stil geführten Online Unternehmen, die erfolgreich funktionieren. Warum werden discount24, myToys, jungstil, baumarkt direkt eigentlich nie erwähnt im Zusammenhang mit den eCommerce Ansätzen des OTTO Konzerns? Sie zeigen, dass es auch mehr als die großen Player im Konzern gibt. Und sie machen Ihren Job oftmals sehr gut.
Noch ein Punkt:
5. Mangelnde Integration des Kunden in alle Geschäftsprozesse
Nicht nur die technischen Prozesse sind stark auf die Herstellerdenke ausgerichtet, auch die Prozesse zum Kunden hin sind kaum in der Organisation zur Optimierung eingebundne. So werden Kundenkontakte vielmehr aus dem Ductus der Reduzierung von Kosten gesehen und nicht als Chance bestehendes zu verbessern.
Anmerkung:
Die von mir hier aufgeführten Punkte gelten (ausnahmslos) für die etablierten Versender, deren Geschäft maßgeblich auf dem Einsatz von Katalogen beruht.
Die von shoppingzweinull genannten Unternehmen (allen voran Mytoys) sind davon m.E. nach nicht betroffen, da Sie als Unternehmen mit “relativ kleiner” Belegschaft und kurzer Historie noch keine solchen komplexen Prozesse (IT, Einkauf und Kudnenprozesse) aufbauen konnten/mussten und damit völlig anders und innovativer agieren (können).
Das Problem der Großen ist auf den Punkt gebracht:
Sie beschäftigen sich mehr oder weniger mit sich selbst und währenddessen ändert sich der Markt und das Kundenverhalten immer schneller. D.h. Entweder aufwachen und den Ernst der Lage erkennen oder hoffen den längeren Atem (sprich: größeren Kundenbestand, Kapitalstamm) zu haben. Oder am Ende sich durch Kapitalmacht am Markt zu bedienen und zuzukaufen.
Gruss
Christian Martin
Immer nur Hofberichte sind doch auch langweilig. Nehmen wir mal das Positive: OTTO hat zumindest noch eine gute Chance den Umbau erfolgreich zu gestalten.
aus meiner Sicht kommt noch ein anderer, wichtiger Punkt dazu: Adoptionsverhalten (Porter).
Der Katalog-Versandhandel war über Jahrzehnte DAS Schwergewicht. Neue Wettbewerber haben sich massiven Marktzutrittsbarrieren gegenüber gesehen (Kosten für Kataloge in geringeren Stückzahlen, Logistik, Callcenter, etc.).
Das Internet aber tickt anders: Jeder, der halbwegs ebay bedienen kann – ist ein potentieller Wettbewerber. Mit der Zeit – jetzt kommen wir zum Adoptionsverhalten – bauen sich die Vorurteile gegenüber der “Neuen” ab. Mehr und mehr User probieren die neuen Internet-Versender aus. Der ursprüngliche Vertrauensvorschuß in die großen Namen wie OTTO erodiert und damit auch die Kunden, der Umsatz, der Ertrag, Marktanteil – alles in Allem die Erfolgsgaranten aus der Vergangenheit!
Für die Zukunft heißt das: Entweder man wird E-Commerce-Laden oder man schrumpft, bis man sich in der Niche wiederfindet.
Was die Verlage seit einigen Jahren schmerzhaft nichtlernen, nichtlernen jetzt die Versandhändler: “Kannibalisiere Dich selbst, bevor es jemand anderes tut”. Das zentrale Problem des Versandhandels ist nicht so sehr die unflexible IT. Auch nicht das Problem, ein (noch) profitables Geschäftsmodell durch ein anderes (kleineres) zu ersetzen. Sondern ein Nichtdarübernachdenken, was eigentlich Kern der eigenen (Versandhandels-)Marke ist:
Der Preis?
Die tollen Einkaufsquellen?
Der Markenname?
Oder was?
Zentrale Frage aus meiner Sicht: Was ist die Aufgabe eines Konzerns wie Otto aus Kundensicht? Darauf muss eine Antwort gefunden werden. (Haben wir das denen nicht schon vor Jahren gesagt?)
Hallo Herr Graf,
genau das meinte ich mit “Ernst der Lage”: Aus Kundensicht hat z.B. Otto genauso wie die Karstadt-Warenhäuser das Problem, dass der Mehrwert für den Kunden (in der aktuellen Zeit) nicht ersichtlich ist.
Zentrale Frage: Wieso soll ich dort kaufen? Alternativen gibt es ja genügend, die entweder fokussierter oder günstiger sind. also: stuck in the middle in Perfektion.
Einziger Vorteil den ich aktuell so aus der Hand schütteln würde, ist die Chance des Kaufs auf Rechnung und die Ratenzahlung (aber da alle ja Richtung Textilversender gehen, schwindet der Vorteil der Ratenzahlung).
Damit sind wir wieder beim Ausgangsproblem der Mitte-90er-Jahre: Nur eben mit der Tatsache, dass ein zusätzlicher Absatzkanal wie Internet (trotz hoher Wachstumsraten) eben dieses Problem nicht löst (wenn man das Internet nur als Zusatzkanal sieht).
Gruss
Christian Martin
Versandhandel von Otto brummt und Affiliates können profitieren
Schon seit einer ganzen Weile werden Versandhändler wie Quelle, Otto und Co. von vielen Seiten belächelt: Das Katalog Business sei so gut wie tot, weil schon bald nur noch online gekauft wird. Allerdings lagen einige Wirtschaftsexperten mit dieser Pr…
Relativ undifferenziert was da ‘rüberkommt, erst recht von Herrn Graf – sorry.
Reden wir über den Universalversandhandel, den Spezialversandhandel oder ist das allgemein ein Abgesang auf Print.
Die Argumente sind so uralt wie es den Versandhandel an sich gibt, also weit vor der Internetzeit. Früher war alles unter einem Dach das Motto (“erst ‘mal sehen was Quelle hat”, Neckermann macht’s möglich”). Und alles unter einem Dach strebt im Übrigen auch ein Amazon an.
Otto, Quelle und co. haben bereits seit Jahren (!) die Antwort aus Kundensicht warum sie mehr-WERT gegenüber anderen sind – Funktionierende Prozesse unter einem vertrauensschaffenden Markendach, der auch noch morgen da sein wird – können nicht viel von sich behaupten.
Sie haben nur zwei entscheidende Nachteile, aus meiner Sicht:
sie sind nicht “hip”, es ist nicht sexy bei Otto, Quelle und co. einzukaufen, erst recht nicht sich und anderen eingestehen, dass man es tut (Bildzeitungslesen-Syndrom),
UND sie sind bis heute nicht in der Lage ihre Assets, Inhalte und Erfahrungen positiv in eine Kommunikationsstrategie zu verpacken, die ihre (neue) Zielgruppe erreicht und überzeugt.
Kein Grossversender sieht das Internet mehr als “Zusatzkanal”, als Appendix. Im Gegenteil, die Paradigmen kehren sich um – Internet schreitet voran, Katalog folgt. Beides zusammen ergibt eine in sich logische Anstosskette.
Allerdings habe ich bei der Umsetzungsgeschwindigkeit da eher bei den Großen meine Zweifel..
Über Print oder nicht kann man sich trefflich streiten. Aber zumindest mal ein paar Zahlen und Fakten:
Wenn Otto rd. 100 Mio. Kataloge im Jahr druckt und daraus einen direkten Print-Umsatz von 850 Mio. Euro erzielt sowie nochmal geschätzt 50 % seiner Online-Umsätze dadurch “induziert”, dann macht jeder Katalog einen Umsatz von 10-14 Euro. Im Schnitt liegen die Druckkosten über alle Kataloge (also durch dick und dünn) im niedrigen einstelligen Euro-Bereich. Kreativkosten etc. hat man immer, das ist klar. Also bringen die Kataloge immer noch was, und nicht zu knapp. Die KUR ist aber sicher nicht mehr, was sie mal war.
Nächste Erfahrung, immer wieder im Versandhandel bestätigt: Ein dicker Katalog bringt mehr als ein dünner. Und zwar nicht in die Tasche gelogen, sondern tatsächlich eine Überkompensation der höheren Druckkosten. Kleiner Katalog – kleines “Budget”. Großer Katalog – großes Budget.
Das alles ist die”moralische” und “ökonomische” Rechtfertigung, den Katalog weiter zu machen.
Dass darüber hinaus die Versender sich (zu?) langsam umstellen, ist leider sehr wahr. Da ist Christian Martins “Innensicht” und auch dem was Joachim Graf und Insider Pierre sagen, nichts hinzuzufügen. Teilweise liest man die Mühe ja in den Interviews – oder hat schon mal jemand einen “planmäßigen”, “behutsamen” “(Um-)Bruch” erlitten?
Also Otto- oder Baur-Mitarbeiter würde ich mir trotzdem schnell einen neuen Job suchen, wenn der Katalog per sofort abgeschafft würde. Vor allem, wenn ich in den Bereichen tätig wäre, die hohe Auftragsvolumina bearbeiten müssen…
Im übrigen hat Dr. Rainer Hillebrandt ja hinsichtlich Budgets gesagt: Umschichten Richtung e-Commerce und noch was on-top packen. Außerdem jedes Halbjahr ein signifikant zweistelliger Mio.-Euro-Betrag für Tests im E-Commerce (gemeint sind neue Test-Formate). Das sind schon ein paar Schaufeln Kohle für den Kessel. Ob’s reicht, wird man sehen.
Das soll nicht heißen, dass es für die Großen nicht um die Existenz geht. Aber ein wenig mal den Fatalismus rausnehmen…
Hier versuchen doch wieder einige etwas kaputtzuschreiben was doch bestens funktioniert. Hier werden Gewinne gemacht, auch ohne Börsengang ( da kann dann keiner reinreden ), neue Konzepte entstehen laufend, Innovation ohne Ende, und der KUNDE wird in den Mittelpunkt gestellt, nein vor allem anderen !!!! Das wird bei Otto vorgemacht und in allen Ebenen gelebt.
Also bitte, nicht so typisch deutsch alles schlechtmachen. Wenn alle Unternehmen am Abgrund stehen, geht es OTTO immer noch gut, gerade wegen der Flexibilitär und Innovation.
DAS IST ES
Schlechte Verlierer eines Streites….
Tja Manager Magazin fasst euch mal an die eigene Nase.
Die Zukunft kommtnäher
das ist der Untertitel der Brandeinsausgabe vom Januar 09. Besonders lesenwert ist der Artikel Klein, aber fein über die Möglichkeit ohne viel Kapital schnell ein Unternehmen aufzubauen und gegen große Global Player zu aggiere…