Startup-Flaute: Das Dilemma der deutschen Investorenszene

Philipp Möhring von Dumont Ventures hat ein paar gute Gedanken zur deutschen Startup-Szene ("Meine Timing-Theorie"). Ergänzend dazu ein paar eigene Einschätzungen zum deutschen Investoren-Dilemma und warum die deutsche Startup-Szene hierzulande nicht so recht vorankommt:

Jedes Land hat die Investoren, die es verdient: Was deutsche Internet-Investoren ja inzwischen schon ganz gut beherrschen, ist das VC-Einmaleins, Unternehmen zu bewerten. Woran es allerdings weiterhin hapert, ist ein eigenständiges(!), gutes Gespür dafür zu entwickeln, wohin die Reise geht. Das "nächste" Google, Facebook oder Twitter wird auf absehbare Zeit auch weiterhin kein deutscher Investor entdecken – und wenn, dann wird er 10 gute Gründe dafür finden, warum er nicht einsteigt.

Was der deutschen Investorenszene völlig abgeht, ist eine Idee davon, wie sich Marktentwicklungen in bestimmten Segmenten aktiv gestalten und fördern lassen. Allein die Denkweise, dass neue Märkte ein gewisses Maß an Vorleistung, kontinuierlicher Aufbauarbeit und kreativer Vorstellungskraft brauchen, ist vielen Investoren fremd, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, selbst bei überschaubaren Investments sehr bürokratisch Konzept für Konzept und Unternehmen für Unternehmen zu bewerten.

Alleine im E-Commerce, und hier sitzen die deutschen Investoren quasi an der Quelle, denn nirgendwo auf der Welt hat dieser einen besseren Stand als hierzulande, gibt es mittlerweile so viele offensichtlich unerschlossenen Märkte ("untapped markets") und Potenziale für neue Geschäftsmodelle, dass man sich fragt, warum auf diesen brachliegenden Feldern so wenig passiert. Warum wird in diese Märkte nicht gezielt investiert? Warum werden Startups in innovativen E-Commerce-Bereichen nicht besonders gesucht und gefördert?

Die Antwort ist ganz einfach: So denken deutsche Investoren nicht. Sie brauchen nicht nur internationale Vorbilder, um sich sicherer zu fühlen in ihren Investment-Entscheidungen, sondern vor allem bestehende Märkte zur Orientierung, um Unternehmen – relativ zum Markt – einschätzen und bewerten zu können.

Man muss sich nur mal den Spaß machen (wie kürzlich auf dem Investorenpanel beim Pangora Kongress) und deutsche Investoren nicht nach konkreten Investments und bestehenden Marktsegmenten zu fragen, sondern ganz allgemein: "Was würdet Ihr Euch denn an Startups wünschen? In welchen Bereichen seht Ihr Potenzial?" Dann blickt man in vergleichsweise verdutzte Gesichter und bekommt mehr oder weniger unverblümt zurück: Mit solchen Fragen beschäftigen wir uns nicht. Unsere Aufgabe ist es, das zu bewerten, was da ist.

Da wirken US-Investoren doch weitaus aktiver mit. Nicht im E-Commerce, der ist auch dort ein Stiefkind unter den Tech-Investoren, aber generell: Frühphasen- und Angel-Investoren wie Fred Wilson, Dave McClure und Paul Graham schalten sich weitaus früher und intensiver in die Debatte ein und bringen Gründer so bisweilen erst auf neue Ideen.

Heute noch undenkbar in Deutschland.

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Kategorien:Shopboerse

  1. Hallo Jochen,
    der Artikel nennt einige sehr gute Punkte, woran es in der deutschen VC- und Startup-Szene krankt.
    Ich sehe außerdem noch das Problem, dass viele Leute etwas gründen, nur weil es gerade angsagt ist. Die Ideenentwicklung, das Geschäftsmodell sowie die Teamzusammensetzung kommen oft zu kurz. Wenn Gründer in Deutschland ein funktionierendes Geschäftsmodell gefunden haben, denken Sie dann oft zu klein und fokussieren sich rein auf den deutschen Markt.
    Das Verhalten der VCs hast Du ebenso sehr gut beschrieben. Es gibt aus meiner Sicht in der Range von 1-5 Mio. Euro für eine vernünftige Series A Runde weniger als 5 relevante Kandidaten. Deutsche VCs sind außerdem sehr stark darauf bedacht wenig Geld für geringe Bewertungen zu investieren, was natürlich auch den Handlungsspielraum für Folgefinanzierungen kleiner macht. Ich bin der festen Überzeugung, dass (im Gegensatz zum klassischen Handel) nicht der Einstandspreis über die Rendite entscheidet sondern die Wachstums- / Erfolgsstory des Unternehmens.

  2. Jochen, vielen Dank für den Pick-up. Ich habe diese Thema offensichtlich nicht angesprochen, sehe aber hierfür auch wichtige strukturelle Gründe. Das gesamte Ökosystem kann nur gemeinsam wachsen, daraus entwickeln sich dann auch die von dir angesprochenen Punkte. Ich glaube aus jeder Sicht kann man Schuldige finden, insgesamt zeigt sich jedoch eine gute Entwicklung in Deutschland. Auch anderswo hat es Jahrzente gedauert, ein starkes Ökosystem zu entwickeln – zahlreich sind die Vorbilder für uns jedenfalls nicht. Die Finanzsituation des letzten Jahres war eben für alle Beteiligten noch einmal ein herber Rückschlag – ich bin wie gesagt recht zuversichtlich, was die weitere Entwicklung angeht.

  3. Da kann man nur hoffen, dass sich dieses
    ” Investmentklima ” endlich auch Deutschland durchsetzt. Es gibt hier leider noch zu wenig Leuchttürme!

  4. Treffend formuliert!

  5. Hallo leute,
    endlich ein Artikel, der es auf den Punkt bringt; wirklich klasse -insbesondere die sog. Seed Investoren hier in Deutschland und mal ganz zu schweigen v. Business Angels sollten mehr Risikobereitschaft zeigen und früher Geschäftsideen in der Früphase unterstützen. Das vermisse ich sehr hier in Deutschland, jeder will das Gelbe vom Ei aber mit der Gewissheit nicht zu scheitern.Insofern wird es kein deutsches Start Up auch nur ansatzweise international die 20 millionen User Marke knacken.Schade irgendwie.
    Wir sind schon ein Jahr auf Kapitalsuche und immer noch nicht fündig geworden; letztendlich muss man alles selber machen bis andere einsteigen.
    Gruß an alle Investoren

  6. Okay, es fehlt hier immer noch an Venture Capital, aber die Web-Welt besteht ja nicht nur aus Ecommerce: Händler sind hier zu Lande allgemein Klemmer, warum sollten sie sich mental jetzt angesichts der Digitalisierung auf einmal ändern? Also werden vor allem die Gründer erfolgreich sein, die wie die Samwer-Brüder auf Klone aus USA setzen und so die Einkaufswelt revolutionieren. Die Konsumwelt war in USA schon immer lebhafter, witziger und servicehaltiger als hier in Deutschland. Andererseits schaffen deutsche Start-Ups in anderen Bereichen durchaus, die Googles, Facebooks oder Twitters zu entwickeln: In der Spieleszene haben es nicht nur Bigpoint oder Gameforge erfolgreich geschafft Standards zu setzen und das Geschäft mit ihren Ideen zu verändern. Und an diesen Erfolgen waren auch clevere Investoren beteiligt, zumindest in der zweiten Entwicklungsphase.
    Handel in Deutschland macht nur selten Spaß (mir als Kunden) und daher bringt er auch wenig neue Ideen.

  7. Ich finde die Kritik zu kurz gegriffen, es gibt keine Investoren weil es keinen Exit Kanal gibt. Die paar Käufe durch deutsche Verlagsgesellschaften sind nicht gerade ein berauschender Kanal, IPO an der deutschen Börse eher langweilig und die großen Tech Player wie in den USA existieren nicht im Web Bereich.
    Wieso sollte also jemand in ein innovatives Modell investieren?
    Er kann es danach ja nicht verkaufen.
    Und einen strategischen Investor zu finden ist natürlich schwierig.
    Außerdem die US Debatte ist doch schon viel weiter, beim Thema wieviel VC Money braucht ein Startup. Und braucht ein Startup noch VCs? oder reicht eine Seed Finanzierung um eine Größe zu erreichen die relevant ist? (alles bis 500.000 ist seed)

  8. Als Lösung schlage ich jedem Gründer vor… von Anfang an international wachsen.
    Übrigens haben FB und twitter das playing field ganz schön eingeebnet, das Valley Netzwerk bei Launch & Co wird dadurch wesentlich weniger relevant.
    Aber wer interessiert sich schon für Investoren, gute Gründer haben keine Angst vor Problemen und kriegen das auch irgendwie hin :)

  9. Noch eine Anmerkung:
    Die Investitionen für innovative Konzepte gehen auch in den USA meistens an Serial Entrepreneure die bereits vorher etwas aufgebaut hat. Zwar haben wir diese Generation mittlerweile, aber nur ein Teil davon gründet nochmal. Auch ist nur ein Teil bei der ersten Gründung erfolgreich gewesen.

  10. guter Artikel in Ihrem Block; ein weiterer wichtiger Faktor ist, das man eine Aktiengesellschaft bzw. eine US Corp. ohnen großen finanziellen Aufwand gründen kann in den USA, und wenn die Story stimmt, kann man über Shares / Genusscheine das going public anstreben, ohnen dazu verdonnert zu werden, falls man es nicht zu schaffen kann. In Deutschland undenkbar. Börse klingt hier zu groß und unerreichbar. Start Ups haben einfach in den USA die Möglichkeit höhere Kapitalrunden abzuschließen, ohne das Banken, Investoren, VC, Business Angels und andere großen Einfluss auf die Unternehmenspolitik haben, dadurch schafft man schnelleres Wachstum und bremmst die Unternehmen nicht gleich aus, weil genügend Kapital und Investitionsoptimismus vorhanden ist.
    In Deutschland undenkbar. Wir sind hier einfach noch zu steif und zu abhängig von dieser ganzen Investorengemeinschaft und zu unflexibel in Risikozeiten ,um wie bei der Börse sich antizyklisch in einem Unternehmen einzukaufen, dort wo es einfach am günstigten ist. Uns fehlt einfach hier in Deutschland noch der Globale Horrizont, um zu Erkennen, das ständig neue und große social community nach Europa gehen und sich breit machen und millionen von usern wegschnappen, doch die umgekehrte Variante, das europäische Netzwerke nach den USA oder Asien gehen ist wohl eher bei dieser Mentalität noch ein Wunschdenken.
    Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns alle Gegenseitig mehr helfen und nicht jeder seine Start Up Suppe kocht. Einen Seedinvestor zu finden, der schnell handelt und sich sofort mit einbringt ist schwer zu finden.

  11. @Philipp: In Sachen Ökosystem stimme ich natürlich zu, aber dass sogenannte “Investoren” ihr Engagement von der allgemeinen Finanz-Großwetterlage abhängig machen, sagt doch einiges über die Seriosität der Szene aus.
    Entweder bin ich Investor, dann investiere ich aus wohl kalkulierten Gründen in vielversprechende Startups, oder ich bin Zocker/Spekulant, dann richte ich mich nach dem Markt – und gerate bei jeder unerwarteten Marktbewegung in Panik.
    Was uns neben all den Möchtegerninvestoren fehlt (die gerade wieder mal abgetaucht sind), sind ein paar mehr ernsthafte Investoren, die eine klare Investment-Strategie verfolgen und an dieser auch konsequent festhalten. Damit wäre der Startupszene schon sehr geholfen.

  12. @Florian: Es ging mir in dem Beitrag eigentlich vor allem um die Seedphase. Denn dort vor allem fehlt es an innovationsfreudigen Kapitalgebern bzw. vielleicht auch nur an geeigneten Strukturen, so dass Gründer und Seedinvestoren/Business Angels schneller und besser zueinander finden.
    Ansonsten stimme ich Dir zu: Mehr als ein, zwei Seedrunden sollte kein Startup brauchen (Ausnahmen bestätigen die Regel :-), um die Gewinnzone zu erreichen.
    Und danach steht erfolgreichen Startups mit Wachstumsambitionen ja ohnehin der internationale VC-Markt offen.
    Nur in der Frühphase funktioniert das leider nicht so problemlos. Denn noch bevorzugen internationale Seedinvestoren tendenziell lokale Investments.

  13. Eine sehr gute und treffende Analyse, Jochen!
    Aber der Gründer muss ja (leider) dieser Situation Rechnung tragen, denn ändern kann und wird er sie zunächst nicht.
    Es bietet sich in DE daher an, die erste “Seed-Phase” selber zu finanzieren. Übrigens auch kaufmännisch die sinnvollste Lösung, weil man die ersten Anteile im allgemeinen am billigsten weg geben muss.
    Die Methoden reichen hier von der unternehmerischen Selbstausbeutung über kleine “family&friends”-Finanzierungen, Nutzung strategischer Partner bis hin zu klassischer ERP-Finazierung. Letztere haben wiederum wir dem Ausland voraus und schlecht ist sie nicht!
    Wenn damit der proof of concept erst einmal erbracht ist, stehen eher internationlae Player zur Verfügung. Und die Bewertung ist auch gleich eine andere

  14. Super Artikel! Kann mich der Meinung 100% anschließen. Es gibt halt nur sehr wenige professionelle Business Angels, die es Vollzeit machen und damit auch in risikoreichere Zukunftsfelder investieren können. Sehr guter Podcast zum Thema: http://ecorner.stanford.edu/authorMaterialInfo.html?mid=1902
    Zwei Silicon Valley BAs, die die Unterschiede sehr klar machen.
    Gruß,
    Cornelius

  15. Haha, wirklich gut zusammengefasst. Es gibt unter deutschen VC’s einfach zu viele Trittbrettfahrer, die sofort der Mut verläßt, sobald sie aufgesprungen sind – und zu wenig VC’s mit Entrepreneursgeist. Die meisten sind eben nur Verwalter der Fonds die sie haben. Eine gute Frage wäre, wie sich das ändern könnte.

  16. Eine gute Analyse, Jochen!

  17. Hallo Jochen!
    als schräger Ideendauer-knovler hat man es schwer und schwer und
    am liebsten würden sie dich ins irrenhaus senden.
    ich habe irgend wann aufgegeben und ziehe es langsamer und
    alleine durch- zuerst dinge die erfolg und geld bringen dann
    meine andern visionen- helmi

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