Das Ende der Multi-Channel-Doktrin für Online-Versender

Wer online punkten will, der darf sich nicht in sogenannten "Multi-Channel"-Initiativen verzetteln. Das ahnen inzwischen nicht nur die Schweizer Händler ("Multi-Channel-Händler als Verlierer im E-Commerce?")

Seit Quelle so ruhmlos den Bach runter gegangen ist, sind auch hierzulande die Multi-Channel-Verfechter sehr kleinlaut geworden. Plötzlich war alles ein großes Missverständnis, und man orientiert sich lieber offline:

"All das zeigt: Es geht auch ohne Internet. Man kann Retail
für sich immer wieder neu erfinden."

Ja, kann man, nur löst das das Problem nicht, denn die Musik spielt natürlich weiter online. Und wer dort ernsthaft punkten will und mit Amazon & Co. mithalten will, der muss sich entscheiden.

Das Shopanprobe-Blog ("Wie verkauft man Mode online?") führt die Debatte ("Der Mythos von der erfolgreichen Multi-Channel-Strategie") weiter und beschreibt en detail, warum:

"Nachdem nun viel über Multichannel auf Geschäftsmodellebene gesprochen
wurde, möchte ich die Unterschiede in den Prozessen und Anforderungen
zwischen dem Katalogversandhandel und dem eCommerce insbesondere für
Modesortimente anhand konkreter Beispiele entlang der
Wertschöpfungskette herausarbeiten. (…)

Katalog und
Internet sind weit mehr als nur unterschiedliche Kanäle, beides sind
eigene Geschäftsmodelle. Um im eCommerce erfolgreich zu sein, braucht es
andere Prozesse, Denkweisen und letztlich auch Menschen mit dem
passenden Know How."

Ich finde es sehr erfreulich, dass sich jetzt auch die Praktiker aus den Online-Abteilungen zu Wort melden, die lange im operativen Geschäft das ausgebadet haben, was ihnen die Unternehmensstrategen und die sogenannten Entscheider eingebrockt haben – und die immer am besten wussten, dass sie es als Online-Arm mit den reinen Online-Versendern nicht aufnehmen können.

Im Otto-Konzern gilt die Multi-Channel-Doktrin zwar offiziell immer noch. Sie wurde aber Ende 2008 erheblich aufgeweicht: Seitdem dürfen den Dickschiffen (Otto, Baur, Schwab, etc.) auch agile Online-Pure-Player (wie Limango, Mirapodo, Yalook) und mehr oder weniger gelungene Absprengsel wie Schlafwelt oder yourHome den Rang streitig machen. Mit welchem Erfolg, wird sich weisen ("Quo vadis, Otto").

Exciting Commerce hat im Sommer 2006 den ersten Beitrag zum Thema "Der Mythos von der erfolgreichen Multi-Channel-Strategie" veröffentlicht. Damals wies der bvh in seinen Statistiken erstmals auch die Umsätze der Online-Pure-Player aus, die den Markt in bis dahin ungeahnte Dimensionen trieben. Seitdem unterstreichen die Zahlen Jahr für Jahr, wie die Multi-Channel-Händler online ins Hintertreff geraten ("Kataloge bleiben Wachstumsbremse Nr. 1").

Inzwischen scheint sich die Stimmung zu drehen – und Multi-Channel wird zunehmend als das wahrgenommen, was es ist: ein probater Einstieg in den Online-Handel, aber unterm Strich allenfalls die zweitbeste Alternative, um im E-Commerce dauerhaft erfolgreich zu sein.

Beginnt jetzt die Zukunft des deutschen Versandhandels?

Mit der Insolvenz-Erklärung von Quelle haben wir im letzten Sommer bewusst die Frage gestellt: "Beginnt jetzt die Zukunft des deutschen Versandhandels?"

Vieles deutet darauf hin: In dieser Woche will sich der bvh, der alteingesessene Bundesverband für den deutschen Versandhandel, reformieren. Das neue Team um den designierten Geschäftsführer Christoph Wenk-Fischer macht einen hervorragenden Eindruck und propagiert einen zukunftsorientierten, offenen und integrativen Ansatz.

Wir drücken dem Team die Daumen, dass sie die Mitglieder für sich und ihre Positionen begeistern können und der deutsche Versandhandel so wieder eine echte (Zukunfts-)Perspektive bekommt.

Frühere Beiträge zum Thema:



Kategorien:Shopboerse

1 Antwort

  1. Ein Händler mit verschiedenen Absatzkanälen ist noch lange kein Multichannel Retailer. Ein echter Multichannel Retailer hat es verstanden seine Kanäle im Kundensinne zu vernetzen. Hier nur negative Beispiele aus dem traditionellen Versandhandel anzuführen, reicht nicht aus um zu belegen das Multichannel nicht wirkt. Eine stationäre Präsents in Verbindung mit einem guten Onlineshop, wird einer vergleichbaren Einkanalstrategie immer überlegen sein, da die Kunden einfach unterschiedliche Bedürfnisse haben. Ein Händler der diesen Bedürfnissen gerecht wird ist einfach näher am Kunden. Solange das Internet den Kunden das Gefühl der Haptik, Riechen und je nach Produkt auch Schmecken nicht vermitteln kann wird das auch so bleiben. Das Internet in Verbindung mit dem stationären Geschäft bietet sehr gute Kunden fokusierte Lösungen (siehe z.B. die Diesel Cam

    Hier bieten sich noch ungeahnte Möglichkeiten. Das Internet wird das alles verbindende Medium, aber kein Allheilmittel für krankende Geschäftsmodelle!

  2. So is et!

  3. Andreas,
    meines Erachtens steht dein Einwand nicht im Widerspruch zum Artikel. Im Wesentlichen sehe ich in der MC-Debatte zwei verschiedene Ideen:
    1. Man versucht ein Angebot über mehrere Kanäle mit möglichst gleichen Prozessen auszusteuern (Besonders beliebt im Versandhandel). In meiner Wahrnehmung ist dies die dominierende MC-Definition. Die muss aber meines Erachtens scheitern, das hat Martin Meinrenken in unserem Blog gut belegt.
    2. Die kundenseitige Vernetzung zweier in sich schlüssigen Geschäftsmodelle (z.B. stationär und online) um mit einem Stimme zum Kunden zu sprechend und seinen Nutzen zu maximieren – hoch sinnvoll und absolut zielführend. Wirkliche Best Practices sind mir nicht bekannt, würde mich aber freuen sie kennenzulernen :-)

  4. Debatte: Mythos Multi-Channel? – Web-Exzellenz ist das Schlüsselthema für erfolgreiche Händler

    Auch für mich zeigt sich, dass ein Multi-Channel-Konzept nicht zum Erfolg im Handel führt. Die Ergänzung der Vertriebskanäle um einen Online-Kanal ist, wie Martin Groß-Albenhausen bereits sagte, eine Ausschöpfungsstrategie und keine Wachstumsstrategie. Gerade klassische…

  5. >>> Wirkliche Best Practices sind mir nicht bekannt,…
    Ja – das ist offensichtlich ;-)

  6. Mir auch nicht. Und die würden mich tatsächlich mal interessieren: Wo hat ein (Versand-)Händler seinen Umsatz verdoppelt oder zumindest signifikant gesteigert, dadurch dass er auf zwei und mehr Kanäle gesetzt hat?

  7. DELL wird durch seinen Vertrieb über Mediamarkt/Saturn bestimmt seinen Umsatz entsprechend steigern. Zahlen dafür gibts aber wohl erst Ende des Jahres.

  8. Sorry, ich will mich ja nur ungern wiederholen…
    >>> Mir auch nicht
    Ja – auch das ist offensichtlich
    Könnte es daran liegen, dass sich die Betrachtungen immer ausschliesslich auf den Versandhandel fokussieren?

  9. Gut, und welches wären dann die anderen Händler, die mit Amazon mithalten können?

  10. Problematisch beim MC-Ansatz ist die Generalisierung der konzernweiten Prozesse: „Damit es überall passt“. Technisch wird im ein „überlebensfähiger“ Allrounder gezüchtet. Wenn dann ein spezialisiertes Wesen wie Amazon dazu kommt sieht es um den alten pflanzenkauende Allesfresser schlecht aus.

  11. Guuter Freund, in meinem Kommentar hatte ich ja bewusst vom Versandhandel abstrahiert und auf online und stationär abgestellt.
    Aber ich entnehme Deiner Enttäuschung über Jochens und meiner Unwissenheit, dass Du hier schon Erfahrungen oder Einblicke hast.
    Was wären denn dann wertstiftende (also wachstumsauslösende) Ansätze in einer intelligenten Multi-Channel-Vernetzung? Wo nicht nur von Kanal A zu B geshiftet wird, sonder neue Kunden angesprochen und gebunden werden, ohne alte zu verlieren?
    Würde mich freuen, wenn Du das Wissen mit uns teilst

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