von Matthias Hell
„Are we actually serving readers by forcing them to “discover” more titles, or are we just over-marketing our products?“
Verlagsmarketingexperte Brett Sandusky hat in einem Blogbeitrag das Thema „Book Discovery“ – über das auch wir bereits berichteten – weitergetrieben. Für ihn geht die bisherige Diskussion an den Kundenbedürfnissen vorbei: Die Frage nach wirksamen Empfehlungsmechanismen im Netz sei mehr ein Marketingthema als ein Nutzerproblem. Anstatt den Blickwinkel auf Metadata und Empfehlungs-Algorithmen zu verengen, sollten Verlage besser daran arbeiten, gegenüber den Lesern die Relevanz ihrer Produkte herauszustreichen.
Argumentative Unterstützung erhält Sandusky dabei von dem Publizisten Guy Gonzalez. Die Lösung des „Book Discovery“-Problems bestehe für die Verlage darin, themenzentrierte Beziehungen zu ihren Lesern aufzubauen, schreibt Gonzalez in seinem Blog:
„The publishers who have a direct relationship with their readers — not necessarily via direct sales, but via direct engagement — are the ones who will not simply survive the “digital shift,” but will thrive, being less prone to the whims of Amazon, Apple, Google, or whomever the next big tech player might be.
Readers won’t have any trouble discovering their books, old or new, nor will they have any obstacles to spreading the word to their friends about those books. Publishers lacking that relationship are the one’s with a discovery problem, and the clock is ticking…”
Neue Vertriebsmodelle
VertragingsApp: Eine einfallsreiche, ausgesprochen zeitgeistige Form der Literaturvermittlung kommt aus den Niederlanden: Nutzer der VertragingsApp können z.B. bei Zugverspätungen die entsprechende „frei“ gewordene Zeit auswählen und erhalten daraufhin ein passendes Angebot an literarischen Texten. Die iOS-App ist eines der Beispiele für neue Publishing-Modelle aus den Niederlanden, die Verlagsmanager Timo Boezeman in einem Blogbeitrag für Futurebook präsentiert.
Geschichtenbox.com verfolgt ein Subskriptionsmodell in einem klar zugeschnittenen Segment mit kuratierten Inhalten: Für eine jährliche Gebühr von 25 Euro erhalten Nutzer insgesamt 365 Kindergeschichten zum Vorlesen, die Inhalte werden dabei von Fachleuten ausgewählt, nach verschiedenen Kriterien eingestuft und damit durchsuchbar bzw. abonnierbar gemacht. In Österreich sucht Geschichtenbox nun nach einer Crowdfundig-Finanzierung. (via 1000×1000.at)
Total Boox: Über den „Pay as you read“-Ansatz von Total Boox haben wir bereits berichtet. Ein ausführliches Feature von Publishing Perspectives beleuchtet nun auch die sozialen Komponenten des innovativen Dienstes genauer: So können Nutzer von Total Boox auch Titel teilen, ggf. verschenken und „Regale“ mit ihren Lesegewohnheiten anlegen.
Neue Erzählformen
Nolan Bushnell: Der Atari-Gründer zählt mit seinem in Kürze erscheinenden Buch „Finding the Next Steve Jobs“ zu den ersten Autoren auf der neuen, vom ehemaligen Yahoo-Manager Tim Sanders gegründeten Self-Publishing-Plattform Net Minds. Der Dienst verknüpft Publishing-Funktionen mit einer Art Freelancer-Portal und will damit Autoren einen stärker kollaborativen Arbeitsprozess ermöglichen, wie Forbes berichtet:
„Net Minds aims to hook up publishers with a team of people. Those copy editors, graphic designers and publicists work as a team to create and promote the book and they get paid in in cash, with royalties or with some combination of both. It’s up to the authors to decide. Net Minds keeps about 20 percent of book sales, and the author controls how to distribute his 80 percent share.”
Struktureller Wandel
Amazon: Die kontroverse ARD-Dokumentation „Ausgeliefert!“ könnte als Impulsgeber für wichtige Fragestellungen zum gegenwärtigen Strukturwandel im Handel dienen, bleibt aber wohl nur eines der kurzlebigen, medialen Aufregerthemen. Interessant ist, dass mit Ch. Schroer und André Thiele auch zwei Verlage den „Skandal“ für eine medienträchtige „Kündigung an Jeff Bezos“ nutzen.
In beeindruckender Deutlichkeit wird dabei dokumentiert, welche Marktmacht Amazon.de gegenüber den mittelständischen Verlagshäusern einnimmt – aber auch warum das so ist: Mangels geeigneten Alternativen setzen die Verlage ihren Ausstieg bei Amazon mit einer Absage an den Onlinehandel gleich und verweisen lediglich auf den stationären Buchhandel. Eigene Online-Strategien? Fehlanzeige.
Buchhandel im Umbruch
Thalia: Im Filialgeschäft geht es bei der Douglas-Tochter weiter wie gehabt: Während aus Trier eine weitere Standortschließung gemeldet wird (via Buchreport), werden drei weitere Thalia-Filialen mit „Rayher Hobby“-Bastelshops zusammengelegt (via Buchmarkt).
Fnac: Der ebenfalls kriselnde französische Medienhändler bemühte sich bei der Vorstellung seiner Geschäftszahlen für 2012 unterdessen um Zweckoptimismus: Der Umsatz sei mit 2,5 Prozent (auf 4,06 Mrd. Euro) weniger stark zurückgegangen als der Gesamtmarkt und man habe die Wende bereits eingeleitet, so Fnac-Chef Alexandre Bompard gegenüber Le Monde. Dennoch resümiert das Blatt: „2013, année de tous les dangers pour la Fnac“.
Unter der Rubrik Buchlos in die Zukunft bringen wir jede Woche das Spannendste zu den strukturellen Umbrüchen in der Buchbranche.
Frühere Beiträge zum Thema:
- Umbrüche im Buchmarkt: „Words are a growth market”
- Umbrüche im Buchmarkt: „Wir sollten uns klar abgrenzen“
- Umbrüche im Buchmarkt: „A sale lost but a reader gained”
- Umbrüche im Buchmarkt: "Book discovery online doesn't work!?"
Kategorien:Buchhandel