Wohin geht die Reise für den Online-Handel? Wer zieht mit, wer schießt quer? In den Explizit Beiträgen kommen Gastautoren und Kolumnisten zu Wort – mit alternativen Blicken auf den Handel von morgen.
Den Anfang macht Lorenz Höhn, Leiter E-Commerce bei Sport Böckmann – mit einem Appell an die Innovationskraft des Handels.
Der Handel ist tot – endlich.
Ich spreche vom deutschen Einzel- und Versandhandel, der auch das Online Geschäft einschließt.
Als ich 2002 in diese Branche eingestiegen bin, tat ich das nicht aus Überzeugung, sondern aus einem rein kaufmännischen Interesse. Produkte müssen halt vertrieben werden. Durch wen ist doch egal, solange die Nachfrage stimmt. Kaum zu glauben, dass dies bis heute die vorherrschende Denke unter uns Händlern ist.
Ich kann mir dieses Handelsfiasko nur so erklären, dass der Handel in seiner jüngsten Geschichte nie wirklich gezwungen wurde innovativ zu sein.
Die Kernkompetenz einer ganzen Branche liegt seit jeher im Vertrieb von Gütern und deren Kalkulation. Das hat sich seit dem Bau der Seidenstrasse nicht mehr geändert. Und das ist erst rund 2.400 Jahre her. Seither haben andere Branchen unseren Fortschritt begünstigt. Selbst die Logistik zählt längst nicht mehr als Handelskompetenz.
Welche Daseinsberechtigung kann aber unsere Branche ohne Innovation noch haben?
Was ist Innovation und warum ist sie für Branchen wichtig? Unter Innovation verstehe ich eine bahnbrechende Neuerung, die innerhalb einer Branche die Spielregeln ändert. Das klingt abstrakt, lässt sich aber an drei Beispielen schnell verdeutlichen.
Der Buchdruck ersetzte die manuelle Handabschrift. Das Dampfrad ersetzte die körperliche und tierische Arbeitskraft. Und die Digitalkamera ersetzte die analoge Bildfolienaufzeichnung. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Neuerungen sind demnach die Triebkraft einer Branche, die Prozesse grundlegend verändern, um ein bestehendes Problem neu und effizienter zu lösen.
Löst eine Branche ein Problem seit Jahrhunderten auf die gleiche Art und Weise, läuft sie selbst Gefahr ersetzt zu werden. Die jüngsten Beispiele sind die Musik CD- und Handy-Branche. Die Digitalisierung und Kompression von Audiodaten hat das Speichermedium CD ersetzt. Die Lithium-Technik hat PCs mobil gemacht, die einfache Telefone fast vollständig verdrängen werden. Der Bücherhandel und Taxi-Zentralen könnten diesen Beispielen folgen.
Warum also nicht auch der Handel? Ich behaupte, in seiner bestehenden Form auf jeden Fall. Denn Probleme werden im Laufe unserer Evolution immer auf eine effizientere Art und Weise gelöst werden, weil die Forschung und Entwicklung immer neue Instrumente hervorbringen wird.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Forscht und entwickelt eine Branche nicht, wird sie zum Freiwild und Spielball anderer Branchen.
Denn solange wir noch über Online Marktplätze klagen können, vergessen wir, dass unsere komplette Branche längst angezählt ist!
Wagen wir einen Blick in die Zukunft!
Wagen wir einen Blick in die Zukunft, um zu verdeutlichen, wer für unseren Tod verantwortlich sein wird.
Das Kaufverhalten wird sich in 30 Jahren völlig verändert haben. Treiber werden Online Dienste basierend auf komplexen Algorithmen sein, die unsere Haushalte und deren Ausstattung komplett vernetzen, um unseren täglichen Bedarf zu stillen. Deren Ziel wird sein, unsere Einkäufe und Dienstleistungen komplett zu automatisieren.
Die IT- und Hersteller-Branche wird demnach in Zukunft wissen, WER in unserem Haushalt WAS WANN in welcher MENGE benötigen wird.
Der durchschnittliche Haushalt wird in 30 Jahren vernetzte Gegenstände wie Fernseher, Tablet, Kühlschrank, Smartphone, Brille, Armbanduhr und Auto haben. Die Kombination dieser selbst datenerhebenden Gegenstände erlaubt, gepaart mit Sozialen Netzwerken und Suchmaschinen ein soziales Abbild unseres Alltags und unserer Bedürfnisse.
Wer also in 30 Jahren unsere Bedürfnis kennt, bevor wir sie selbst kennen, kann uns das beste Angebot machen. Kein Händler wird dem im Weg stehen!
Der gläserne Verbraucher konsumiert folglich am Handel vorbei. Online Marktplätze werden diesem Trend noch am meisten entgegen setzen können. Bereits heute verdient eine bekannte Suchmaschine Milliarden mit Werbung am deutschen Handel. Deshalb wird dieser Gigant alles daran setzen, seine Wertschöpfungskette zu erhalten und auszubauen. Aber auch Smartphone-Hersteller und Netzwerk-Dienste werden in unsere Branche vordringen. Darum werden IT-Unternehmen gemeinsam mit Produkt-Herstellern unsere Branche langsam auflösen.
Begegnen können wir diesem Trend nur, wenn wir selbst Innovation in Form von Technik und neuen Vertriebskonzepten hervorbringen. Ein großer Marktplatz ist hierbei schon heute Vorreiter. Dieser vertreibt selbst Tablets und Lautsprecher als mobile Einkaufswägen und Online Bücher-, Musik-, Spiele- und Videodienste, die unseren Alltag einnehmen sollen.
Für alle Händler, die aber nicht in der Lage sind, eigene Technik herstellen zu lassen, können sich durch größtmögliche Spezialisierung, gepaart mit kompetenter Beratung retten. Das sind auch die Waffen der Produkt-Hersteller.
Eine Marke kennt nämlich keinen Unterschied zwischen Herstellern und Händlern. Im Kopf unserer Kunden dringt nur der vor, der ein Problem am besten löst. Also lasst uns die alltäglichen Probleme lösen, indem wir den ureigensten Sinn einer Marke aufgreifen und ein Lebensgefühl schaffen.
Denn nur solange wir Händler besser oder sozialer als Maschinen die Bedürfnisse der Kunden bedienen, haben wir unsere Daseinsberechtigung nicht verloren. Ein Lebensgefühl aufzubauen bedeutet immer am besten zu wissen, was im Kopf des Kunden vorgeht. Hier sollten wir ansetzen und Forschung betreiben.
Die Explizit Rubrik steht allen offen, die nach vorne denken, auf drängende Probleme hinweisen oder neue Perspektiven eröffnen wollen. Wir freuen uns über regelmäßige oder gelegentliche Beiträge von Kolumnisten und Gastautoren (explizit@excitingcommerce.com).
Frühere Beiträge zum Thema:
- Wie gefährlich sind die Thesen des ECC/Instituts für Handelsforschung?
- Quo vadis Shoptech 2025: Krückentechnologien forever?
- Wie lange will der HDE den Handel noch für dumm verkaufen?
Kategorien:explizit
Schöner Appell, aber wie reagiert jetzt Sport Böckmann selbst? Die eigene Digitalstrategie wirkt ja auch noch recht klassisch.
Fieser Kommentar. Auch wenn der Autor für Sport Böckmann tätig ist, geht es hier nicht um Sport Böckmann. Fair gegenüber dem Autor wäre, sich mit seinen Thesen und Argumenten auseinanderzusetzen und persönliche Angriffe und Diskreditierungen zu unterlassen.
Ich kann in dem Kommentar von Charlotte weder einen persönlichen Angriff, noch eine Diskreditierung erkennen. Besonders wundert mich aber, dass ausgerechnet Du das schreibst.
Du bist ja auch kein Kind von Traurigkeit, oder habe ich hier nicht erst kürzlich von der Hudetzifizierung gelesen? Polarisieren und ´nen bissel battlen ist ja ok, aber dann halt auch mit gleichen Maßstäben messen und nicht Schmollmund wenn Dir irgendetwas nicht passt.
Grundsätzlich würde ich mir auch ein bissel mehr Tiefgang in Deinen Artikeln wünschen …
… da kannst Du dir mal ein Beispiel an Alex nehmen.
Zum einen kann ich nichts Falsches daran finden, einen Gastautor proaktiv in Schutz zu nehmen, wenn es die Umstände erfordern. Zum anderen kann man auf einer inhaltlichen und auf einer persönlichen Ebene argumentieren.
Der IFH-Beitrag hatte die “Hudetzifizierung der Branche” zum Thema und sollte pointiert auf den Punkt bringen, wie in der Branche Meinungen ungefiltert übernommen werden. Der Begriff beschreibt in erster Linie ein Branchenphänomen. Und so souverän wie ich ihn kenne (und in dieser Hinsicht auch schätze), wird jemand wie Kai Hudetz das eher als Kompliment werten denn als Beleidigung. Eine Leistung ist es ja in jedem Fall.
Es spricht mE nichts gegen Überspitzungen auf der inhaltlichen Ebene. Und persönlich kann ich auch gut mit dem Echo leben.
Ansonsten ist das Leben kein Wunschkonzert ;-) Hier im Blog gibts eben in erster Linie kurze Updates in kompakter Form, Tiefgang gibts in den Exchanges oder – in schriftlicher Form – eben bei Alex. Es läge mir allerdings fern, Alex diesbezüglich den Rang streitig zu machen …
Ich hatte mich auch nicht persönlich angegriffen gefühlt :-) Mein Beitrag sollte lediglich ein selbstkritischer Weckruf sein. Wie unser Unternehmen mit der aktuellen Situation umgeht, hätte leider den Rahmen dieses Beitrags gesprengt.
Mir kommt es jedenfalls so vor, als ob der Handel wie das Kaninchen vor der Schlange sitzt. Mit dem Unterschied, dass das Kaninchen in der freuen Natur die Schlange nicht erst belächelt, anschließend füttert und dabei anhimmelt, bevor es selbst gefressen wird :D
Nein, und eben weil das nicht Thema des Beitrags war, haben wir uns ein weitergehendes Sport Böckmann Bashing so erspart … allein darum gings mir.
@Charlotte: du hast völlig recht, dass wir selbst in der Nische im Moment noch nicht mit einer Digitalstrategie glänzen. Aber wir sind dran unsere Hausaufgaben zu machen und uns auch mobil aufzustellen. Gewinnen wird nämlich auch hier nicht, wer zuerst einen mobilen Shop anbietet, sondern wer seine Zielgruppe am besten mobil abholt. Sobald dies sichtbar wird, schreibe ich auch gerne darüber.
hackr dazu via Twitter (https://twitter.com/hackr/status/710088330109710336):
“mein einwand geht eher in diese richtung: http://hackr.de/2013/05/16/the-google-supposed-to-know … (ersetze google mit handel)”
Solche Schreckensmeldungen machen sich natürlich hier gut im Blog. Ich gebe auch Recht. Tun statt jammern! Auch vor 2400 Jahren hat der einfallsloser 0815 Händler kein Geschäft gemacht. Weltweit gab es noch nie ein so großes Handelsvolumen. Viele deutsche Handelsgeschäftsmodelle rechtfertigen aber nicht Ihre Marge. Fuer eine Kalkulation Einkaufspreis mal 2, 3 oder 4 muss einfach etwas geboten werden. Mit einfachem Zucker konnte vor ein paar hundert Jahren noch ein Vermögen verdient werden ;-). Mit besonderen innovativen Süssungsmittel auch heute noch. Speed ist gefragt und handeln statt jammern.