Auf dem G20 Gipfel in London ist etwas Erstaunliches passiert. Denn realistisch betrachtet hat sich die Weltpolitik auf einen radikalen Systemwechsel verständigt – weg von der (sozialen) Marktwirtschaft, in der Geld knapp sein muss und (überwiegend) leistungsorientiert vergeben wird, hin zu einer Schenkwirtschaft, in der Geld reichlich ist und es ausdrücklich erwünscht und erlaubt ist, freizügig und nach Gutdünken Geschenke zu verteilen.
Man kann die (implizite) Abschaffung des bisherigen Systems kritisieren (wenn man vermögend ist) oder begrüßen (wenn man nichts hat, oder hohe Schulden). Denn mit der radikalen Geldausweitung nimmt die Politik eine weltweite Inflationswelle bewusst in Kauf: Wer Geld hortet oder spart, verliert. Wer sich stark verschuldet, profitiert von der erwarteten Geldentwertung.
Die Schenkwirtschaft ist da
Mit der Schenkwirtschaft ändern sich die Spielregeln. Doch agieren Politik (und Wirtschaft) nicht längst nach den neuen Regeln?
- In einer Schenkwirtschaft ist geben seliger denn nehmen. Entsprechend kann der Staat (also wir alle) nach Belieben Geschenke an Unternehmen, Schrottwagenfahrer, Einkommenslose und Bedürftige verteilen. Dieses Prinzip ist nicht neu und hat sich seit längerem bewährt. Entsprechend hoch ist die Akzeptanz in der Bevölkerung.
- In der Schenkwirtschaft haben alle ein jobunabhängiges Grundeinkommen. Daran haperte es bisher. Doch die Funktion des Grundeinkommens übernimmt nun für zunehmend mehr Menschen das mit dem Systemwechsel eingeführte Kurzarbeitergeld. Es soll entsprechend ausgeweitet werden. Alternativ werden Konsumgutscheine diskutiert.
- Die Schenkwirtschaft funktioniert nur mit einer schnellen Umlaufwährung. Entsprechend motiviert die Politik Banken, Bürger und Kommunen, das geschenkte Geld zügig weiterzugeben und selber wieder zu verschenken. Ansonsten verfällt es (siehe oben).
Es wird eine Weile dauern, bis sich alle in dem neuen System wiederfinden und – gerade die Vermögenden – an die neuen Regeln gewöhnt haben. Aber wer weiß, vielleicht ist die Schenkwirtschaft, wie sie seit langem im Internet ("Gratiskultur") und weitaus bewusster noch im Social Web praktiziert wird, nicht nur online, sondern auch darüberhinaus die Zukunft.
Der Staat gibt die Währungshoheit ab
Der Systemwechsel hat ein paar interessante Nebeneffekte. So gibt der Staat beispielsweise sein Währungsmonopol ab. Mussten bisherige Komplementärwährungen (Regiowährungen, etc.) stark an die führende Währung gekoppelt sein, so steht es in nichtkompetitiven Systemen wie der Schenkwirtschaft, in der alle Leistungen auf Freiwilligkeit beruhen, jedem frei, seine eigene Dankeschön-Währung zu starten. Wer mit den Staatsgeschenken nicht zufrieden ist, kann seine eigenen Geschenke verteilen. Möge die vertrauenswürdigere Währung gewinnen!
Ob Twollars, Facebook-Credits oder die vielen anderen (nicht monetären Web-)Währungen, die gerade entstehen oder zunehmend als solche wahrgenommen werden, sie basieren alle weitestgehend auf den Prinzipien der Schenkwirtschaft, wie sie Joytopia sehr anschaulich, wenn auch esoterisch etwas überhöht, beschreibt. Entsprechend werden die Joytopia Dankpunkte auch gerne als Vorbild für Twollars & Co genannt.
Es ist nicht unspannend, sich mit Themen wie diesen zu befassen und den Systemwechsel sowie die zunehmenden Währungsdiskussionen auf Fachblogs wie New Currency Frontiers mitzuverfolgen (s. auch What is a currency?)
- Web-Währungen: Monetizing Social Media with Community Currency
- Web-Währungen: Facebook testet eigenes Währungssystem
- Web-Währungen: Was kommt nach der Währungskrise? (5)
Kategorien:Facebook
Hallo Jochen,
leider haben die Joytopia-Vordenker bisher noch kein Modellprojekt auf den Weg gebracht, vielmehr liest man immer mehr Obskures, umso mehr man sich einliest. Vielleicht sind hier die Webunternehmer erfolgreicher?
Ja, man sollte bei Joytopia nicht zu tief schürfen. Deshalb hab ich bewusst nur auf die Erklärung des Prinzips verlinkt.
Nettes Spielzeug für Touristen in Urlaubsregionen, aber kaum praktizierbar im Großen. Hirnloser Konsum wird gefördert, sparen z.B. für die Rente fast unmöglich. Wie das in Zeiten von Klimawandel (Stichwort: CO2 Reduktion) und Demografischem Wandel funktionieren soll, ist mir ein Rätsel.
Klingt zu schön, um wahr zu sein? Es IST zu schön, um wahr zu sein.
Wann immer Geld nicht “echte” Werte repräsentiert (also damit selbst einen intrinsischen Wert hat), bricht das entsprechende System früher oder später zusammen. Das derzeitige Gelddrucken hat nur den Effekt, dass es bestehendes Geld (also Gespartes oder Bezahlung für reale Waren oder Leistungen) entwertet.