Strategiewechsel: Otto soll in viele Einzelmarken zerfallen

Nach dem extremen Schrumpfkurs der vergangenen Jahre möchte Otto das Ruder nun offenbar doch noch einmal herumreissen und nach 10 schwachen Jahren im Versandgeschäft endlich wieder angreifen und auf Wachstum schalten.

Otto1999-2008

Dazu soll das rückläufige Stammgeschäft einerseits wie gehabt mit externen Partnern gestützt werden. Parallel dazu soll der Otto-Versand jedoch in vielen kleinen Einzelmarken aufgehen, die dann, so das Otto-Kalkül, als Beiboote am Markt im Zweifel weitaus bessere Überlebenschancen hätten als Otto selber.

Ein mehr als spektakulärer Kurswechsel und eine Abkehr von der One-Stop-Shopping-Philosophie der vergangenen Jahre. Otto hat den neuen Kurs in der vergangenen Woche bei der Happy Sixty! Präsentation verkündet und der Öffentlichkeit wie folgt verkauft:

"Das Unternehmen ist aktuell dabei, weitere potenzialstarke Angebotskonzepte aus seinem Kerngeschäft weiterzuentwickeln und sie im Rahmen einer Mehrmarken-Strategie um OTTO herum zu positionieren.

Lascana

Nach dem Vorbild der OTTO-Marken Apart und Lascana werden zwei dieser Satelliten noch in diesem Geschäftsjahr gelauncht. Sie sollen sich nach und nach von der Basis OTTO abkoppeln und je nach Marktposition einen eigenen Kundenstamm mit eigenen Kundenbeziehungen pflegen, eine eigene Wachstumsstrategie mit eigenem Marketing entwickeln sowie möglicherweise einen eigenen Online-Auftritt haben.

Dadurch sollen sie sich ihren jeweiligen Marktgegebenheiten entsprechend flexibel entfalten. Die erwarteten Zusatzumsätze hängen u.a. von der Zahl der gestarteten Satelliten und der weiteren Wirtschaftsentwicklung ab; in fünf Jahren ist ein dreistelliger Millionenbetrag realistisch."

Wachstum durch Ausgliederung bzw. – im Extremfall – "Wachstum durch Zellteilung" zählt gerade im Online-Bereich zu den vielversprechendsten Wachstumsstrategien der kommenden Jahre. Die QVC-Schwester Backcountry macht erfolgreich vor, wie es geht.

Voraussetzung für solch eine Strategie ist allerdings, dass man über zukunftsfähige Geschäftsmodelle verfügt, die sich gut und einfach klonen und mit überschaubarem Aufwand weiterentwickeln lassen.

Hier hapert es jedoch im Otto-Versand, der es in den letzten 10 Jahren versäumt hat, mit dem nötigen Einsatz an neuen Geschäftsmodellen zu arbeiten, und stattdessen verzweifelt versucht hat (und es leider immer noch versucht), sein überholtes Katalogmodell ("Otto feiert den gedruckten Internet-Katalog 2009/10") als Multi-Channel-Konzept zu reanimieren.

Insofern kann man gespannt sein, ob die Rechnung für Otto diesmal aufgeht. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Otto mit seinen Ablegern wiederum nicht auffangen kann, was der Stammmarke in derselben Zeit verloren geht. So wie die Mehrkanalstrategie vornehmlich deshalb gescheitert ist (s. die Marktanteilsverluste im Chart), weil der Online-Katalog nicht auffangen konnte, was der gedruckte Katalog verlor.

Schön zu erkennen sind die enttäuschten Erwartungen, wenn man einmal fünf Jahre zurückblickt. Damals war Otto "Happy 55" ;-) – und wollte den E-Commerce-Anteil von damals 10% binnen fünf Jahren auf 20% verdoppeln. Heute liegt er weit darüber. Und dies ist trotz der halbherzigen Anstrengungen im E-Commerce-Segment auch deshalb so phänomenal gelungen, weil die Katalogumsätze im selben Zeitraum so extrem eingebrochen sind, wie es sich damals im Hause Otto wohl niemand hätte vorstellen können.

Kurzum: Die Zusatzumsätze im dreistelligen Millionenbereich dürften mit dieser Strategie mehr als erreichbar sein. Das Sorgenkind bleibt jedoch Otto selber. Hier dürften die Umsätze binnen fünf Jahren aller Vorausssicht nach um weitere 200 bis 250 Mio. Euro einbrechen.

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Kategorien:Shopboerse, Ultimondo

1 Antwort

  1. Sag mal, kann es sein, daß Du auch jede Aktion der (ehemals) großen drei grundsätzlich kritisch kommentierst bzw. betrachtest?

  2. Nicht jede, nur die wichtigen – oder gabs hier schon einen Beitrag zum Thema „Otto missbraucht Live Shopping als Marketing-Gimmick“? ;-)
    Und Juni/Juli ist eben traditionell Berichtssaison im dt. Versandhandel. Finale ist vsl. Ende Juli, wenn die neuen bvh-Zahlen kommen …

  3. Die Idee an sich ist schon gut – allerdings wird damit wohl die sehr bekannte Marke OTTO sterben. Ich würd das Konzept der einzelnen Satelliten schon auch machen aber auch die Dachmarke OTTO weiterhin als „Shopping-portal“ weiterbetreiben. Und auch zeigen dass diese Unternehmen zusammengehören – so wie das GAP mit seinen Marken auch macht. Oben eine Leiste rein in der ich umschalten kann und somit weitere interessante Shops kennenlernen.

  4. …Mal langsam. Beiboote zu launchen ist doch höchstens eine Ergänzung zu otto.de, wenn man meint, gewisse Zielgruppen nicht ansprechen zu können. Wir wissen doch alle, wie aufwändig es ist, Traffic in Shops zu bekommen, im Zweifel extra zu sortimentieren und zu betreiben. otto.de wird es weiterhin auch in der Größe geben.

  5. Mich würde mal interessieren, welche Geschäftsmodelle OTTO, Quelle oder neckermann.de erarbeiten, entwickeln, kopieren sollen? Immerhin unterhalten wir uns hier immer gerne über Live-Shopping, Shopping-Clubs, Mass Customization und Crowdsourcing-Modelle à la Spreadshirt und Threadless. Aus Gesprächen in der Branche habe ich bisher entnommen, dass Shopping Clubs und Live-Shopping bei Bearbeitung der großen Anbieter und auf deren Plattformen sehr stark die bisherigen Pure Player gefährden und dominieren können.
    Interessanter als Stand-alone Geschäftsmodelle finde ich persönlich allerdings stringente Konzepte wie ASOS oder myfab, wobei zweiteres nur den riesigen Umsatzeinbruch von 0,5% von OTTO decken könnte, der aber in den nächsten Jahren 250 Mio. € betragen soll.

  6. Ganz einfach: massenattraktive und zukunftsfähige Geschäftsmodelle ;-)
    Im Ernst: Die Zahl potenzieller Geschäftsmodelle ist endlos. Das versuche ich hier im Blog ja immer wieder an Beispielen deutlich zu machen. Nicht damit die beschriebenen Modelle dann plump 1:1 kopiert werden, sondern damit man sich daran orientieren kann und sie als Inspirationsquelle dienen können.
    Das Problem von Unternehmen der Größenordnung von Otto & Co. ist jedoch, dass sie nicht warten können, bis sich irgendwo ein erfogversprechendes, neues Geschäftsmodell abzeichnet, um es dann schnell zu kopieren. Dann ist es in der Regel zu spät.
    Otto & Co. müssen selber zum Nährboden für neue Geschäftsmodelle werden. Dafür fehlt ihnen aber die Experimentierfreude und vor allem die dafür nötige Innovationskultur. Um künftige Märkte aktiv mitgestalten zu können, müssten sie sich viel stärker von ihrer Vergangenheit lösen und ein weitaus besseres Gespür für die Zukunft entwickeln.
    Fatale Fehleinschätzungen (wie im Beitrag beschrieben) kommen vorwiegend deshalb zustande, weil sich Otto & Co. immer noch zu sehr um „ihre Kunden“ kümmern statt auf neue Märkte und neue Geschäftsmodelle zu achten, die zwar ggf. die alten Kunden verschrecken, die aber ein weitaus höheres Wachstumspotenzial bieten.
    Ich bitte um Verständnis, wenn ich hier bewusst keine Beispiele für vielversprechende, neue Geschäftsmodelle nenne (Denn von irgendwas muss ich ja schließlich leben ;-). Aber ich denke, dass aufmerksame Leser sehr wohl wissen, in welchen Bereichen die größten Innovationspotenziale bestehen und was uns in den nächsten Jahren an Geschäftsmodellen erwartet.
    Persönlich rechne ich jedenfalls mit einer wahren Explosion an Geschäftsmodellen im E-Commerce-Bereich. Alleine deshalb kann ich hier ja recht freimütig und sehr zeitig über die spannendsten, neuen Entwicklungen berichten, da es sich allenfalls um das Vorspiel für die Umbrüche der nächsten Jahr(zehnt)e handelt.

  7. Die These, dass sich „Otto & Co. immer noch zu sehr um ihre Kunden kümmern“ finde ich mehr als gewagt.
    Jedes Unternehmen sollte sich zuallererst um seine eigenen Kunden kümmern – worum denn sonst? Mehr Innovation ist möglich, ja, überall im Web. Aber die Frage ist, ob diese Innovation MIT diesen Bestandskunden gegangen wird oder mit Neukunden oder beides. Jede dieser drei Strategien ist aus meiner Sicht vertretbar.

  8. Das hat nichts mit gewagt oder nicht gewagt zu tun. Ein Blick auf die Umsatzkurve zeigt, was passiert, wenn man den Markt missachtet und sich nur den Bedürfnissen der eigenen Kunden widmet … man wird unattraktiv für den Rest.
    Das mag strategisch gewollt sein. Dann ist natürlich auch nichts dagegegen einzuwenden. Ich habe aber nicht das Gefühl, das Ottos Strategie ist, sich vom Markt zu verabschieden, sehe aber nicht, wie sie mit der heutigen Strategie ausreichend neue Stammkunden für Otto begeistern wollen.

  9. Den Händler möchte ich sehen, der so etwas strategisch will… Ich würde mich aber hüten zu sagen, der Markt werde missachtet. Da gibt es doch noch ein paar andere Faktoren. Es ist ja auch nicht so, dass die Leute nicht mehr bei Otto kaufen. Sie kaufen da einfach weniger und nutzen auch andere Einkaufsstätten. Aber doch nun wirklich nicht alle nur die aufregenden neuen Geschäfte.
    Man muss die Skala mal nach hinten verlängern. Der Rückgang der Umsätze ging schon in den achtziger Jahren los und wurde nur durch die Wiedervereinigung gebremst. Das Budget wird heute anders verteilt. So viele neue Shops kann Otto gar nicht eröffnen, um in allen Märkten mitzuspielen.
    @jochen: eben wollte ich eine etwas längere Antwort posten, die wurde aber vom System abgelehnt. Hoffe, die paar Sätze passen jetzt…

  10. [Dass das System längere Kommentare ablehnt, höre ich zum ersten Mal. Was genau kommt da als (Fehler-)Meldung?]
    Das mag alles stimmen. Nur lässt sich ja schwerlich leugnen, dass Otto & Co. mit der neuen Wettbewerbssituation komplett überfordert sind …

  11. Die Fehlermeldung lautet: „We’re sorry we cannot accept this data“
    Tja, Verteilungswettkampf. Als wollte man mit einem Becher eine Sturmflut stoppen.

  12. Wenn in Zeiten der Wirtschaftskrise umsatzseitig auf dem hohen Niveau der Kurs gehalten wird, ist doch absolut positiv. Wenn man wie im aktuellen Mailorder-Blog dargestellt sogar ein Wachstum im ersten Halbjahr möglich ist, dann macht man nicht allzuviel falsch und ist schon gar nicht überfordert. Wenn zweistellige Umsatzeinbußen der Fall sind und eine Insolvenz nur mit unseren Steuergeldern vermieden werden kann, dann ist ein Unternehmen überfordert.
    Das darf jedoch nicht davor täuschen, dass das Geschäftsmodell Universalhändler starke Konkurrenz bekommen hat, die aber nicht auf den E-Commerce beschränkt werden sollte. Daher finde ich die Initiative aus Marktsicht sogar sehr gut, da im Markt profilierte Spezialversender wachsen.
    Der Ruf nach Innovationskultur ist absolut richtig, aber auch hier halte ich den Ansatz von innovativen Modellen von Smatch bis hin zu Ablegern von 3Suisses oder dem neuen eVenture Capital als ordentlich.
    Viele der Innovationstreiber haben sich noch nicht am Markt bewährt, schreiben keine schwarzen Zahlen und gehen wie viele Live-Shopping-Anbieter vom Markt weg. Vielleicht wird dann Live-Shopping von den Großen dominiert, wie Peter Faisst bereits in 2007 gesagt hat.

  13. Das Märchen vom „Wachstum im ersten Halbjahr“ erzählen sie uns nun auch schon seit Jahren jedes Jahr aufs Neue. Am Ende des Geschäftsjahres war es dann doch immer noch ein Minus, zumal im Versand das zweite Halbjahr zählt.
    Ich wage es einfach mal, der Unternehmens-PR zu misstrauen und mich an den Erfahrungswerten der vergangenen 10 Jahre zu orientieren.
    Wenn „ordentlich“ das Kriterium ist, dann ist Otto in der Tat „ordentlich“ dabei. In Schulnoten wäre das eine 3-4. Die Frage ist doch: Reicht das, um Otto wieder nach oben zu bringen?

  14. Nein, und das glaubt und erwartet Otto selbst nicht mehr. Stattdessen: Portfolio-Strategie. Kontrollierbare Investitionen in Geschäftsmodelle, die man beherrscht und planen kann. Venture Capital für innovative Konzepte. Interne Investitionen, um den Ertrag des Geschäfts zu halten und möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern.
    Michael Otto ist ein exzellenter Unternehmer, eben weil er mit Augenmaß investiert. Weil er smatch losrennen lässt, sich „brandneu“ leistet, in ausgeklügelte Programme zur Disposition oder besserem Sizefitting investiert.
    Aber klar – das alles ist einfach nur „ordentlich“, 3-4. Man könnte ja so viele neue innovative Geschäfte austesten, statt das Geschäft zu erhalten, mit dem das Geld für die Investitionen erst mal verdient wird. Ich zweifele aber, ob Schumpeter das mit kreativer Zerstörung gemeint hat.

  15. Das Problem bei Otto ist nicht das Fehlen neuer Ideen, von Innovationen oder kompetenter Mitarbeiter. Der Otto Konzern ist eher gelähmt durch Konzernpolitik, interner gegenläufiger Interessen und durch lange Entscheidungsprozesse. Es fällt manchem sehr schwer zu verstehen, dass kleine flexible, schnelle Beiboote eine andere Struktur benötigen, als ein großer Otto Tanker. Auch ein Konzerncontrolling, dass versucht die gleichen Maßstäbe für ein Startup anzulegen, wie für die Otto Mutter trägt nicht dazu bei, dass der notwendigen Geschwindigkeit und Innovationsfreudigkeit Rechnung getragen wird. „Das“ sind die tatsächlichen Bremsen. Einige der fähigsten jungen Mitarbeiter haben deshalb schon das Unternehmen verlassen und neue High Potenzials suchen Ihr Glück lieber in flexibleren Strukturen. Die Möglichkeiten des Otto Konzerns sind fast grenzenlos, wenn Sie es schaffen Hierarchieebenen und Administration abzubauen, Querdenker mit einzubinden und den alten Versandhandelsrucksack abzulegen. Deshalb bin ich der Meinung, dass Otto den richtigen Weg mit Ihrer neuen Strategie eingeschlagen hat. Das, aber nur der erste Schritt ist. Die weiteren Schritte müssen schnell folgen.

  16. Ich denke, dass die otto group es schon versteht, diese Beiboote auszusetzen und sie mit genug Ressourcen versorgt. smatch.com fährt mit viel PS, yalook öffnet sich auch neuen Marken (endlich mal Premiumsegmente). Leider fehlt meiner Meinung nach (wie manche Vorschreiber erwähnten) an der vollen Führungsrolle. Ich habe noch keine innovativen Label bei OTTO oder einer der Tochtergesellschaften finden können. Es mangelt an modischem Trendgespür, das Trends einleitet; das Sortiment ist dem Markt zu oft hinterher oder nicht differenziert genug. Gerade da sollten die Beiboote Kurs sowie Geschwindigkeit optimieren.

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