Was sagt Görtz selber zu seiner Online-Performance?

Der Schuhmarkt steht diese Woche im Fokus, weil hier eine weitere Handelsbranche ziemlich kalt erwischt wurde und sich zugleich sehr gut die strategischen Denkfehler aufzeigen lassen, mit denen sich die alteingesessenen Schuhhändler ins Abseits katapultieren.

Speziell bei Görtz ist die Online-Strategie zuletzt so gar nicht mehr aufgegangen (wobei wohl ähnlich wie bei Tretter irgendwann aktiv die Reissleine gezogen wurde, siehe Kommentare), was nicht nur bitter für die Verantwortlichen ist, sondern auch die Veranstalter der einschlägigen Kongresse in die Bredouille bringt:

Goertzdirect

"Vor diesem Hintergrund kamen auch die obligatorischen Fragen aus dem Publikum nach dem Online-Umsatzanteil bei den referierenden Händlern nicht so gut an.

"Das ist eigentlich die falsche Frage", sagte Lutz Spannuth von dem Schuhhandelsunternehmen Görtz direkt. "Der Kunde kauft nicht online oder stationär, er kauft bei Görtz.

Es wird viel digital losgetreten, was in der Filiale dann geerntet wird. Somit ist die Frage nach dem jeweiligen Anteil am Umsatz relativ unwichtig."

Wer die Görtz-Zahlen noch nicht kennt, sollte sie spätestens jetzt nochmal auf sich wirken lassen.

Händler sollten mal darauf achten: Seit offenbar wird, dass Multi-Channel zwar erhebliche Kosten und Mühen verursacht, aber im Marktwettbewerb unterm Strich keinerlei Zusatzumsatz bringt, ist plötzlich "noline" der letzte Schrei unter den Mehrkanal-Verfechtern, also noch mehr Mühe und noch mehr Kosten für den Händler, aber umsatzseitig noch weniger Zuordenbarkeit. Da lacht das Beraterherz!

Man könnte meinen, Exciting Commerce hätte grundsätzlich etwas gegen Multi-Channel. Mitnichten: Multi-Channel kann eine Lebensaufgabe sein und ein wunderbarer Zeitvertreib für alle, die das nötige Kleingeld haben, den Online-Wettbewerb scheuen und trotzdem "irgendwas mit E-Commerce" machen wollen. Und in etwa so ernst muss man derlei Online-Aktivitäten dann für die Marktentwicklung auch nehmen.

Unter Onlinern wird ja immer gut und gerne über die Multi-Channler gelästert. Vielleicht kann man sich vorstellen, wie sich die Jungs von Amazon, Zalando oder Zooplus ins Fäustchen lachen, wenn sie Präsentationen wie "Local Hero Goes Online" sehen oder die neue "Online-Strategie" von Karstadt, das seine Benchmarks irgendwo sucht, aber weiter glaubt, sich mit seinem Sortimentsmischmasch nicht an Amazon & Co. messen zu müssen.

In den entsprechenden Kreisen ist Multi-Channel inzwischen die höchste Form des Harakiri – und wird mit einer solchen Hingabe zelebriert, dass es einem fast schon wieder Respekt abnötigt.

Dabei genügt inzwischen wirklich ein Blick auf die (Markt-)Entwicklung, und jeder weiß, was die Stunde geschlagen hat. Händlern empfehlen wir auch die Top 500 Analysen des Internet Retailer Magazins, das ja durchaus als Verfechter vieler Kanäle bekannt ist, das aber mittlerweile ein weitaus differenzierteres Bild zeichnet, als es der Handel hierzulande geboten bekommt.

Frühere Beiträge zum Thema:



Kategorien:Shopboerse, Ultimondo

1 Antwort

  1. Lieber Jochen,
    ich denke so einen Artikel solltest du nicht aus einem ‚Ich-bin-mal-wieder-genervt-von-den-Multi-Channel-Verfechtern‘ Impuls verfassen…Zielführender wäre eine objektive Betrachtungsweise der einzelnen Unternehmen und Märkte…Es ist nun mal so, dass die Gesellschaft, die Werteorientierung und somit auch der Commerce einem ständigen Wandel unterworfen sind: Das war so und wird es auch immer sein…Richtig ist auch, dass die Top-Liste der 100 grössten Unternehmen von vor 100 Jahren ganz anders aussah als heute…usw.
    Richtig ist aber auch, dass stationäre Händler neben dem POS, der telefonischen Kommunikation auch die Internetkommunikation entdeckt haben und auch nutzen, die einen als Informationsplattform, die anderen erweitern diese zu einer Bestellerfassungsplattform neben dem Telefon…Das sind alles wichtige und richtige operative Kommunikations- und Vertriebsmassnahmen für stationäre Händler…
    Warum ein stationärer Händler mit seinem Online Shop gegen einem Pure Player in direkte Konkurrenz treten sollte, entzöge sich meinem Verständnis von ‚doing business’…Das Geld ist besser investiert in die Erweiterung seine ‚Stationärreichweite‘, indem er neue Standorte ’sinnvoll‘ eröffnet…Nichts anderes macht ja der Pureplayer mit seinem Venturekapital: Er investiert in die Reichweite und wächst…
    Mein Vorwurf an die ’stationären‘ wäre nur dejenige, dass sie keine vernünftigen lokalen Konzepte für die stationäre Reichweitensteigerung haben, d.h. sie Denken immer noch nach dem Motto ‚go there where the ducks are the fatest’…Aber die A-Lagen und die ‚Gute-Parkplatz-Möglichkeit-Standorte‘ mit hoher population density sind finite…Deshalb können die stationären ihre Reichweite vielmehr über die lokale Präsenz weiter ausbauen…In Irland funktioniert das im Foodbereich ganz gut, da es in jeder noch so kleinen Siedlung so einen kleinen Nahversorger mit überhöhten Preisen gibt, der immer voll ist…

  2. Naja, vielleicht meint Jochen aber genau das, wenn er sagt, dass sich die stationären Händler nicht mit teuren Online-Abenteuern in die Schlacht stürzen sollten,
    die sie nicht gewinnen können, sondern das Geld tatsächlich lieber in innovative stationäre Modelle investieren sollten.

  3. Ich habe ja immer ein Problem mit dem Begriff Multi-Channel, da es suggeriert, dass es mehrere Kanäle nebeneinander gibt und die Vernetzung unterschiedlicher Möglichkeiten, den Kunden so zu erreichen, wie er es gerne möchte und dies auch untereinander vernetzt ausblendet. Die Menschen leben ja auch „Online“ und „Offline“ und bedeutet Multichannel auch, dass bspw. amazon mit iPad/iPhone-Apps, Google-TV/Apple-TV-Apps jetzt Multichannel ist und es lieber sein lassen sollte, oder nicht? Oder wird es nur auf Online/Offline reduziert?
    Wie auch immer. Im Prinzip gibt es für mich eine ganz einfache Antwort auf die Frage, ob ich als Stationärer Händler/Hersteller auch einen Online-Shop haben sollte oder nicht.
    Die wichtigste Frage ist, bin ich eine Marke oder nur Transaktionsplattform (online, wie offline) -> Notwendige Bedingung.
    Bin ich eine starke Marke, dann muss ich den jeweiligen Kanal mit seinen entsprechenden Mehrwerten bedienen und alle Kanäle intelligent miteinander verbinden -> Hinreichende Bedingung.
    Bin ich keine Marke bzw. Storebrand und nur Transaktionsplattform (online und offline), wie bspw. Karstadt oder auch Görtz, etc., dann sollte man sich stark überlegen, ob ich auch online erfolgreich sein kann.
    Apple hingegen ist eine starke Marke und die funktionieren online wie offline – müssen in dem Fall sogar MultiChannel machen, da starke Marken, die eine Fangemeinde um sich bilden können dort sein müssen, wo der Kunde Zugang zu seiner Marke haben möchte. Ich denke nicht, dass Jochen behaupten würde, dass Apple seine Apple-Stores oder seinen Online-Shop einstellen sollte, um sich nur auf einen Kanal zu konzentrieren. Ähnliches gilt sicher auch für Bogner, Nike, Tiffany, usw.
    Für mich ist allerdings auch Zalando keine Marke, sondern eine reine Transaktionsplattform für Schuhe online. Zalando ist kein Zappos – es gibt keine Evangelisten oder stark mit dem Unternehmen verbundene Fangemeinde etc. Es fehlt die Story und der starke Markenkern. Daher ist Zalando auch durchaus angreifbar und könnte von einem Unternehmen, welches sich mit Markenbildung und Storytelling auskennt, einfach mit entsprechender Marketing-Power wieder verdrängt werden.
    Wobei es sicher spannend wäre zu sehen, wie sich bspw. Götz offline entwickeln würde, wenn sie den Namen Zalando lizensieren würden, da es ja auch offline keine starke Schuh-Storebrand gibt.

  4. Danke @Claus und @Hagen! Damit fühle ich mich ganz gut interpretiert :) Und in der Differenzierung sind das für mich probate Denkansätze. Auch wenn ich befürchte, der klassische Handel unterschätzt die Gefahr, die von den Onlinern ausgeht, immer noch.

  5. @Jochen Das befürchte ich auch ;-)

  6. Dass man Zalando solange unterschätzt hat, zeigt auch so ein bisschen die Trägheit bzw. teilweise auch Arroganz des etablierten Handels, a la: „die wollen doch nur die Investoren abzocken, einen schnellen Exit hinlegen und dann ist der Spuk auch bald vorbei, da die eh kein Geld verdienen“. Das wird sich in vielen Fällen noch als schmerzhafte Fehleinschätzung erweisen. Der kluge (stationäre) Handelskonzern versucht nicht, mit aller Macht eine Schlacht zu schlagen, in der er keine Chance hat, sondern konzentriert sich auf sein Kerngeschäft und nimmt die verfügbare Kohle und beteiligt sich finanziell an innovativen Online-Konzepten. Dazu braucht man dann keine aufwendigen Prozesse und IT-Abteilungen, sondern nur 2-3 pfiffige Berater, die sagen, wo es sich lohnt, einzusteigen.

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