Wann wird der Otto-Konzern endlich smarter im Umgang mit Amazon & Co.? In mehreren großen Interviews erläutert Konzern-Chef Schrader dieser Tage u.a., warum er Amazon immer noch nicht ernst nehmen kann:
“Ihr Rivale Amazon sieht das anders (…) und liebäugelt mit dem Einstieg ins Paketgeschäft. Geht bei Ihrem Tochterunternehmen Hermes schon die Angst um?
Nicht einmal Sorge. Nach allem betriebswirtschaftlichen und logistischen Verständnis kann ich mir nicht vorstellen, dass Amazon in Deutschland eine autonome Paketlogistik aufbaut. Das Problem sind die enormen Bestellspitzen etwa zur Oster- und Weihnachtszeit.
Wenn ein Onlinehändler diese Spitzen selbst abdecken will, wird das irrsinnig teuer. Also wird Amazon weiter die Kooperation mit starken Partnern wie Hermes suchen.”
In den USA verstärkt sich Amazon in der Logistik gerade, weil die traditionellen Paketdienste eben nicht mehr in der Lage sind, die saisonalen Spitzen abzufedern (“Amazon überfordert Paketdienste”).
Auf der Suche nach Top-Logistikern (“Wenn sich Amazon sein eigenes DHL schafft“) soll Amazon zuletzt u.a. den Chef von DHL Paket abgeworben haben (“Schnappt sich Amazon das Team von DHL Paket?“).
Spannend sind zu diesem Thema auch die starken Reaktionen auf Twitter. Das illustrierende Chart stammt von der dgroup (via). Bemerkenswert zudem, wie DHL-Chef Appel auf derlei Fragen antwortet:
“Wenn neue Akteure erfolgreich in den eigenen Markt eindringen, dann bedeutet das nur, dass man selbst nicht gut genug war.”
Im Otto-Konzern ist nach dem großen Stühlerücken 2015/16 weiter unklar, wer den Konzern in Zukunft führt. Der Vertrag von Hans-Otto Schrader läuft am 31.12. aus. Die Nachfolge will die Familie Otto erst im Mai regeln.
Über die Umwälzungen bei Otto hatten wir uns zuletzt in den Exchanges #99 (“Reinventing Otto“) unterhalten.
Frühere Beiträge zum Thema:
- Ottos Boss Hos und die Rocket-Zahlen für Mytoys und Limango
- Der Otto-Konzern und das große Stühlerücken 2015/16
- PowaTag: Ottos Mobile-Shopping-Hoffnung meldet Insolvenz an
- Wieso hält sich Otto immer noch für die Nr. 2 im E-Commerce?
- Tempo, Tempo: Hermes setzt radikal auf Regional-Logistik
- Exchanges #99: Reinventing Otto
- Exchanges #95: Benjamin vs. Otto
Solche Sprüche sind sicherlich nicht schlau, aber in dem Fall hat der Mann nicht komplett unrecht. Dass Amazon in D ein wirtschaftliches Paket-Logistik-System aufziehen kann, ist stark zu bezweifeln. Der Paket-Markt in D ist trotz Dominanz von DHL hart umkämpft, die Preise sind völlig im Eimer. Sparen kann man da also nichts mehr. Evtl. könnte man die Zuverlässigkeit noch weiter steigern, aber da ist gerade eine DHL oder Hermes schon ziemlich gut dabei. Klar ist Amazon extrem wichtig für die Paketdienste hier in D, aber wenn die alle mal die Luft anhalten und Amazon die Tür vor der Nase zumachen, hat Amazon weitaus mehr zu verlieren, als die Paketdienste. Vielleicht täusche ich mich da, aber so einfach ist das mit eigener Logistik nicht.
Ich glaube eher, dass Amazon das mit ganz kleinen Schritten probiert.
Ja, die Spezialisten bei AMAZON verkennen die Anforderungen an die deutsche Logistik. Typisches US amerikanisches Denken.
Hätte bei DHL jemand ein Paar Cojones, würde DHL die Tür für AMAZON einfach nur dafür, überhaupt so eine schwachsinnige Idee zu haben, zumachen. Was glaubt AMAZON? Dass sie selber in Gesamtdeutschland – und nur darauf kommt es an – die letzte Meile bewältigen? Lächerlich. Dem deutschen ecommerce täte es auf jeden Fall gut.
Elektronik ist auch kein Bereich, in dem die Margen jemals hoch waren. Trotzdem ist Amazon dort jetzt Marktführer. Wenn man bedenkt, wie lange DHL gebraucht hat, dass man zumindest mal per eMail darüber informiert wird, wann ein Paket genau ankommt, kriegt man ein Gefühl dafür, was da noch an Potential schlummert. Wie wäre es mit einem Paketdienst, der die Paketboxen bei den Kunden zu Hause noch stärker subventioniert und in ganz Deutschland 24h Zustellung ohne Aufpreis schafft? Das Ganze mit einem besseren Kundenservice kombiniert, bei dem man zB als Empfänger mit einem Klick auf die Versandmail reklamieren kann, dass ein Paket nicht angekommen ist, was dann automatisch dazu führt, dass das Paket gesucht und evtl. zum Absender zurückgeschickt wird, der in der Zwischenzeit die Sendung schon erneut auf den Weg geschickt hat, so dass der Kunde sie dann halt einen Tag später bekommt. Das nur mal als ein Beispiel.
Ja klar; und jeder Besteller bekommt noch einen Euro. Ist ja abwegig zu glauben, dass Logistik tatsächlich Geld kostet. In Wirklichkeit werden ja bereits alle Pakete vom Händler direkt in das Zustellfahrzeug gebeamt. Die Energie dafür stammt aus den bundesgeförderten Windparks und Solarpanel Anlagen.
@Claus Fahlbusch
Wohl auch deshalb würde es Amazon zum jetzigen Zeitpunkt nie zugeben, wenn es so etwas vorhätte: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/amazon-eigener-lieferdienst-soll-dhl-ups-nicht-ersetzen-a-1074568.html
Aus vergangenen Erfahrungen mit Amazon müsste es sich ein Otto-Konzern aber immerhin “vorstellen können”, um strategisch dafür gerüstet zu sein.
Immerhin ist Amazon in Frankreich und in England schon einen Schritt weiter:
https://excitingcommerce.de/2015/10/16/colis-prive-amazon-will-franzosischen-paketdienst-komplett/
Da ist der (Logistik-) Markt aber auch ein komplett anderer. Zu Preisen von 2,xx € kann Amazon nie und nimmer ein Paket in D transportieren. Und Du sagst das schon richtig, deswegen würde Amazon sowas auch niemals offen sagen. Da wird eher versucht, sich die Rosinen rauszupicken und selbst noch ein Geschäft mit dem Reselling von DHL-Dienstleistungen gemacht, wie z.B. dass Marktplatz-Händler, die Prime anbieten wollen, über Amazon DHL-Express kaufen müssen, auch wenn sie selbst eigene gute Konditionen haben. Oder man macht hier und da mal ein paar Same-Day Tests mit einem alternativen Angebot.
Aber wie Maruvke weiter oben sagte, Amazon bekäme ein gewaltiges Problem, würde man sich mit DHL & Co. anlegen.
Die Aussagen im Interview sind ja köstlich. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
“Meine Bedingung für den Duz-Vorschlag war, dass mein Kurzname Hos – für Hans-Otto Schrader – verwendet wird. Der klingt doch frischer als Hans-Otto. Und Hos höre ich jetzt tatsächlich öfter. Erst letzte Woche kam ein junger Mann vor dem Fahrstuhl auf mich zu und meinte: „Hey, ich kann jetzt Hos zu dir sagen.“ Ich sag: „Ja, klar, und wer bist du?“ „René, aus dem Social Media Team.“ Und dann kamen wir ins Gespräch, das früher so nicht zustande gekommen wäre. Das Du ist ein äußeres Zeichen, dass etwas Neues beginnt, eine Art verbaler Startschuss für unser Projekt Kulturwandel 4.0.”
1) Das Gespräch wäre so früher nicht zustande gekommen => schöne Konzernhierarchie.
2) Der Mitarbeiter aus dem Social Media-Team ist ein “junger Mann” => unter 10 Jahren Berufserfahrung bist Du bei Otto nichts.
3) Ob HOS jetzt frischer oder einfach schlicht peinlich klingt, entscheidet sich immer noch beim Empfänger der Botschaft => eigenes Denken nicht erwünscht, die “richtige” Interpretation wird gleich mitgegeben.
4) Man kann es nicht einfach vorleben, sondern muss gleich ein Projekt mit schmissigem Slogan daraus machen, vermutlich auch alles von einer Beratung “verchartet” => echt gewollter Kulturwandel sieht so nicht aus.
Was kommt als nächstes? Ein eigener Twitter Account für “The HOS”?
“Ein wichtiger Aspekt dabei war der Wunsch, weg vom “ihr” und hin zum “wir” zu kommen”, heißt es ergänzend dazu im Abendblatt-Interview: http://www.abendblatt.de/hamburg/article207090067/Otto-Mitarbeiter-duerfen-ihren-Boss-jetzt-Hos-nennen.html
Amazon kauft in München übrigens gerade 100 elektrische Lieferfahrzeuge. So viel zum Thema eigene Paketlogistik würden sie niemals aufbauen…
Spannend. Danke für den Tipp!
Ach Gott, da werden sich wahrscheinlich alle DHLer und Hermes-Leute ins Hemd machen. Das sind ein paar kleine Pilot-Versuche in Großstädten, wo so ziemlich alles in Sachen Logistik funktioniert. 100 Elektroautos wow. Wenn das DHL wirklich stören würde, würden sie Amazon erst mal die Paketpreise für alle Sendungen ausserhalb von Ballungsgebieten um 50 cent erhöhen.
Sehr unterhaltsamer Artikel in der WiWo und mal wieder gekonnt aufgegriffen Jochen ;-)
Dass OTTO das Zäpfchen geht, mit dem Hauseigenen Lieferdienst Hermes, ist klar. (Und die arbeiten wahrscheinlich auch nur profitabel, weil bei den Auslieferern und deren Fahrzeugen (extrem) gespart wird!)
Was in dem Artikel auch so richtig schön durchkommt ist die Inkonsequenz, mit der Otto einem Amazon und Zalando hinterher eiert.
“Bei der Einzelgesellschaft Otto erzielt der dicke Hauptkatalog gerade noch rund sieben Prozent des Umsatzes.”
“Wenn sie die Zahlen unserer US-Tochter Venus sehen mit rund 50 Prozent plus oder unsere Modeplattform Collins mit einem Wachstum von 240 Prozent, dann verblassen Amazon und Zalando (lacht).”
Wenn die neuen Plattformen doch so sensationell performen und das alte Geschäft (=Katalog) so marginal ist, warum killen sie dann letzteres nicht? Von den verbleibenden 7% kann man mit Sicherheit nochmal die Hälfte in die reine online Welt retten, Otto würde also keine 4% Umsatz verlieren. Die Kostenersparnis würde das aber vermutlich mehr als wettmachen.
Der Hauptkatalog und generell die Kataloge sind Werbeträger und ein Kundenbindungselement. Daher wird es nicht so sein, dass nur diese 7% wegfallen, sondern eher noch zusätzlich Online-Umsatz der seinen Ursprung im Katalog hat. Nicht umsonst heißt es in der Online-Suche “Suchbegriff / Artikelnr. eingeben
Ich würde es eher so interpretieren, dass sich OTTO noch nicht zutraut, dass Marketing ohne Katalog zu stemmen. Evtl. sieht HOS die Print-Medien auch als USP.
Solange der Katalog Umsatz (und Gewinn) generiert verschickt man ihn weiter.
Genauso wie man SEA, SEO, Affiliate, Display, Newsletter etc. betreibt solange es Geld bringt.
Ein Pauschales “Katalog abschalten” disqualifiziert vom Marketing Verständnis.
Mal sehen, wie lange Amazon noch die Logistik des größten Wettbewerbers in D unterstützt.
Habe leider keinen Handelsblatt.com Premium Zugang, aber der Teaser ist aus dem heutigen morning brief Newsletter:
“In München testet das Online-Kaufhaus Amazon seit einiger Zeit schon, ob es in das Geschäft mit der Zulieferung einsteigt. Seither hat die dortige Post, so berichtet unsere Titelgeschichte, kräftig Marktanteile verloren.
Entscheidet Amazon-Gründer Jeff Bezos, das Pilotprojekt auf ganz Deutschland auszuweiten, droht dem Post-Chef Frank Appel weiteres Ungemach. In Großbritannien führte ein Angriff Amazons 2014 dazu, dass der angestammte Pakettransporteur Royal Mail seine Wachstumsprognose halbieren musste. Auch der Post bläst ein „wind of change“ ins Gesicht, der sich zum Orkan entwickeln könnte.”
http://www.handelsblatt.com/my/unternehmen/handel-konsumgueter/amazon-angriff-auf-die-post/13071478.html
„Das ist eine Herausforderung und weckt zugleich unseren sportlichen Ehrgeiz“, kommentierte der Chef der Deutschen Post kürzlich den Vorstoß seines Großkunden Amazon, Pakete selbst zuzustellen. Er wisse sehr genau, sagte er dem Handelsblatt, wie anspruchsvoll dieses Geschäft sei.”
und die Meldung rauscht gerade auch über den Ticker, am Ende wird es sehr spannend ;-)
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/deutsche-post-hoeheres-porto-koennte-helfen/13072252-2.html
„Amazon könnte der Post mit seinen Plänen gefährlich werden“, warnen die Analysten von JP Morgan, halten die Bedrohung aber bei der Aktie für bereits eingepreist. Anders die Kollegen von Credit Suisse. Sie halten Amazon auch über das Jahr 2016 hinaus für eine Bedrohung der Post, die bislang von der Börse noch unterschätzt werde.”
Amazon least sich in den USA 20 Frachtflugzeuge:
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Amazon-least-sich-eine-Frachtflugzeug-Flotte-3131814.html
Ich weiß nicht ob es schon gepostet wurde, falls ja, sorry fürs Doppelpost.
schön was eine Handvoll Leute so zusammen tragen und ein gutgezahlter CEO mit mind. drei Dutzend Analysten und Business Developern in house voll daneben liegen ;-) Evtl. lesen sie bald hier mit …
Hm. Schon so viele bold moves der US-Konzerne wurden hier erst belächelt und dann (siehe auch Grafik ;)
Die meisten Argumente hier drehen sich um die isolierte Profitabilität der Warenlogistik per se. Ich weiss nicht, ob AMZ das nötig hat bzw. so denkt? Was ist mit der E2E-Wertschöpfung? An der Haustür denke ich an Kundenbindung/Branding, verbessertes E2E-Tracking/Notification, Upsell, Retouren- und Claim-Handling, größere Unabhängigkeit von der Marktmacht der großen Versanddienstleister, bis hin zu den bösen Drohnen. ;) Klar wird AMZ all das und die Auswirkungen auf ihre KPIs erstmal testen, genau wie Offline-Stores u.v.m.
No?
…stimme dir zu. Amazon beweist doch Jahr für Jahr, dass weder die eigene Profitabilität das Ziel ist, oder auch nur die Profitabilität eines eigenen Services, s. Amazon Prime. Selbst wenn sie damit Kohle versenken, die Kaufstätte Amazon aber durch einen so guten Logistikservice weiterhin zum Riesenmagneten ausbauen – so what?
So ganz allgemein gesprochen empfiehlt es sich in der Regel schon, Neuerungen nicht abzutun, als wären sie nicht wichtig – aber ich denke mal, Hos weiß das auch ;-)
Pech, dass sich das die Manager von OTTO sich das “nicht vorstellen können” – die Manager von AMAZON können es sich offenbar sehr wohl vorstellen… Zum Spaß machen die das sicherlich nicht