Wie Zalando Multi-Channel-Träume zum Platzen bringt

"Görtz, bislang viel gepriesenes Beispiel für gelungenen Multichannel, brechen die Umsätze weg",

schreibt die Internetworld über den ersten Teil unserer Analysen zum Schuhmarkt ("Zalando vs. Görtz: Was wenn die Online-Strategie versagt?").

Wer wie Görtz online nicht mehr als einen 08/15-Katalogshop zu bieten hat, geht ein strategisch hohes Risiko ein, weil er dadurch vor allem offenbart, wie schmalbrüstig im Sortiment selbst ein führender Filialist aufgestellt ist – im Vergleich zu den Zalandos dieser Welt, die sich zunehmend als Marktplätze positionieren.

Doch nicht nur Görtz, auch das Münchner Schuhhaus Tretter, mit 87 Mio. Euro Umsatz 2010 die Nr. 11 unter den größten Schuhfachhändler (PDF), musste online Lehrgeld zahlen, hat inzwischen jedoch den geordneten Rückzug angetreten und seine Online-Shops für Bartu und Tretter Anfang des Jahres wieder vom Netz genommen:

Bartu

Was bisher nur im Buchhandel und im Elektronikmarkt zu spüren war, lässt sich nun auch in anderen Branchen beobachten. Wer online mitmischen will, muss sich strategisch weit mehr einfallen lassen als ein bisschen Multi-Channel-Tralala, sonst verliert er über alle Kanäle hinweg.

Wie Zalando zunehmend Druck auf den immer noch sehr mittelständisch geprägten Schuhmarkt ausübt, verdeutlichen die Umsatzzahlen für 2010: Während Zalando bereits 2010 auf ein Netto-Umsatzvolumen von 159 Mio. Euro verweisen konnte, erreichte Görtz online 35 Mio. Euro, Marktführer Deichmann kam auf 10 Mio. Online-Euro, Runners Point auf 6,6 Mio. Euro.

Reno und Siemes, hinter Deichmann die Nummer 2 und 3 unter den größten Schuhfachhändlern (PDF) stationärer Prägung, sind überhaupt erst im April bzw. Mai 2010 mit eigenen Shops online gegangen.

Siemes

Hier im Blog weisen wir ja bewusst immer darauf hin, dass Online-Handel mehr sein kann als der übliche Katalogshop, wie man sich strategisch absetzen kann und dass man Schuhe online auch anders präsentieren/verkaufen kann, um sich von Universalisten wie Zalando & Co. abzuheben:

Die Ansätze zeigen beispielhaft, in welch unterschiedliche Richtungen man denken kann. Denn die vermeintliche Allzweckwaffe Multi-Channel greift in den wenigsten Fällen. Und ein Patentrezept für den Online-Erfolg gibt es für den stationären Handel genausowenig wie für Startups. Entsprechend ist online weiter viel Experimentieren angesagt.

Eine Option kann die stärkere Fokussierung auf eigene Produktlinien sein, eine Entwicklung, wie sie auch stationär zu beobachten ist – oder die Etablierung neuer Marken wie Weber-Schuh ("Der Laufschuh für ihren täglichen Business-Marathon"), die sich online exklusiv vermarkten lassen.

Ideal sind sicherlich Marken, die eine facettenreiche Story haben, weil sie sich auch handelsseitig ganz anders inszenieren lassen.

Wer aber hätte gedacht, dass ein Zalando selbst mit dem Banalsten aller Online-Modelle heute noch ganze Branchen aufmischen kann? Da beginnt man zu ahnen, wie unglaublich viel Luft noch nach oben ist.

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Kategorien:Samwer Report, Shopboerse

1 Antwort

  1. Und dabei wäre es doch so einfach. Ich habe ja einen „Schuhtick“ daher fällt mir sowas eventuell schneller auf als anderen.
    Zalando ist ursprünglich (wenn ich mich richtig erinnere) als Zappos Clon angetreten. Zappos gab damals das Versprechen jeden Schuh zu besorgen.
    Zalando ist meilenweit hiervon entfernt. Auch hier gibt es nur Mainstream.
    Wenn man sich mal z.B. Die aktuelle Kollektion von Nobrand (Nobrand.pt) ansieht, und das mit den wenigen in Deutschland angebotenen Modellen vergleicht, dann wird schnell klar, dass es auch mit Zalando niemanden in Deutschland gibt, der in Sache Style ein bisschen weiter Vorne ist, der sich traut auch der Zielgruppe „mann“ etwas mehr als Standard anzubieten.
    Als Mann Schuhe kaufen ist hierzulande frustrierend, egal ob online oder offline.
    Und wenn irgendjemand diesen Markt besetzt, dann wird er damit erfolgreich sein und Marktanteile besetzen. Denn trotz aller Werbeversprechen – das Thema Schuhe besetzt noch keiner vollumfänglich. Wie schnell es im Internet gehen kann, komplett abgeschrieben zu sein, das wissen die „alten Hasen“ vielleicht noch. Ich sage nur „Altavista vs Google“
    Schreibfehler und mögliche komische Wörter kommen in diesem Beitrag aus dem iPhone.

  2. Interessant, dass hier davon gesprochen wird, dass Tretter/Bartu „Lehrgeld“ bezahlen musste, die Hintergründe hierfür fehlen jedoch und wären genau das entscheidende Element dieses Beitrags: entsprechend wird eine Vermutung und Assoziation geäußert, dass hinsichtlich der Portale, der Logistik, des Sortiments unlösbare Probleme für den Rückzug verantwortlich gewesen wären – und diese Assoziationen wären falsch. Entsprechend also wünschenswert, wenn die Autoren Statements mit konkreten Informationen, vor allem aber Fakten und Sachlagen unterlegen würden, um mittels Hintergrundinformationen Entscheidungsgründe zu verstehen – andernfalls vermitteln Beiträge wie diese nur eine Falschwahrnehmung und lassen zu großen Interpretationsspielraum.

  3. „Denn die vermeintliche Allzweckwaffe Multi-Channel greift in den wenigsten Fällen. Und ein Patentrezept für den Online-Erfolg gibt es für den stationären Handel genausowenig wie für Startups.“
    Diese Aussage ist nur begrenzt richtig, denn das Ziel des Multichannel Anbieters ist nicht zwangsläufig, dass er der bessere Pure Player wird (und darauf zielt u.a. der reine Umsatzvergleich!).
    Es geht vielmehr darum, seinen Kunden den Online Kanal auch sinnvoll zu erschliessen. Wie viele Stammkunden in der Filiale würde Görtz wohl verlieren, wenn sie nicht ein immerhin anständiges Multichannel Konzept anbieten würden? Das ist sicher die für Görtz (und viele andere Retailer!) relevante Fragestellung!

  4. @Eric Jankowfsky
    Danke! Sehe ich genauso
    @Chris Mayr
    Ich kann gerne mal eine Liste/Interview-Serie machen mit allen Händlern, die sich online die Finger verbrannt haben, weil sie falschen Versprechungen aufgesessen sind. Es gibt doch kaum einen Händler, der beim ersten Versuch nicht in irgendeiner Form über den Tisch gezogen worden ist. In dem Fall war Tretter nur ein Beispiel dafür, dass es schlauer ist, sich zurückzuziehen, wenn man online keine Chance hat.
    @Oliver Lucas
    Multi-Channel-Strategien werden noch immer als Wachstumsstrategie und nicht als Kundenbindungsprogramm verkauft. Und für letzteres sind die Kosten/Investitionen kaum zu rechtfertigen, wenn sie keinen zusätzlichen Umsatz bringen. Davon abgesehen: Online bietet soviel Umsatzpotenzial, auch für Görtz & Co., da sollte Kundenbindung die letzte Option sein.

  5. @Jochen: tatsächlich bestanden Chancen, es wurde – wenn ich das hier einfach mal so freizügig bemerken darf – jedoch spontan und plötzlich und unmittelbar mitten im wachsenden Geschäftserfolg ein entscheidender, strategischer Fehler gemacht, der wohl – und nach meiner persönlichen Auffassung – u.U. auch auf fehlendem Erfahrungsschatz im e-commerce und den zu klassischen Denkweisen im Einzelhandel basierte, den wir als in diesem Projekt involvierter Technologieanbieter für die Logistik mit Staunen vernahmen. Unabhängig von diesem konkreten Fall:
    Tatsächlich aber wäre es spannend, konkretee Aussagen zu erhalten, dahingehend begrüße ich den Vorschlag einer Interview-Serie sehr, sofern der große Lesezirkel des Blogs dafür ebenso Interesse bekunden sollte? Viele Grüße aus München!

  6. Oliberté finde ich spannend. Ungünstig scheint mir nur zu sein, dass die in ihrem zentralen Werbevideo Afrika als „country“ bezeichnen. Daraus könnte man viel negatives Storytelling ableiten.

  7. Es ist alles andere als ein nachhaltiges Wirtschaften, wenn man sich von dubiosen Investoren einen Werbeetat spendieren lässt, der alles dar gewesene übertrifft. Bei Zalando geht es nur um eines: Marktanteile zu generieren, koste es was es wolle. Fakt ist, dass Zalando rote Zahlen schreibt. Auf der anderen Seite hat sich Zalando in kürzester Zeit einen hohen Bekanntheitsgrad „erworben“. Am Ende wird es so sein, dass Zalando, hat es einmal einen hohen Markenwert erreicht, verkauft wird und somit die Investoren einen satten Gewinn in Millionenhöhe einfahren werden. Somit sind all die Verluste, die Zalando jedes Jahr einfährt, egalisiert. Zukunft: offen. Um die Einzelhandelswüste, die im Sog von Zalando entsteht, weil traditionelle Schuheinzelhändler nicht mithalten können mit solch einem Werbeetat und somit zu Grunde gehen, macht sich fast niemand Gedanken. Nachhaltigkeit sieht anders aus!

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