Im elektronischen Versandhandel sind in den ersten 15 Jahren gut ein halbes Dutzend neuer Geschäftsmodelle entstanden – mit Marktpotenzialen von jeweils einer Milliarde Euro und mehr. Mehr als ein Dutzend beachtenswerter Geschäftskonzepte befindet sich aktuell im Test- und Experimentierstadium:
Gerade weil sich Exciting Commerce in erster Linie mit neuen Märkten und neuen Geschäftsmodellen befasst, zählt es zu den ernüchterndsten Erfahrungen, in Workshops und Management-Briefings zu erleben, wie unfassbar schwer sich gestandene Manager selbst bzw. vor allem in den obersten Führungsetagen damit tun, in Geschäftsmodellen zu denken.
Erfahrungsgemäß ist es sowohl schwierig, Managern neue Geschäftsmodelle nahezubringen als auch gemeinsam neue Modelle zu entwickeln. Da es Manager traditionell eher gewohnt sind, in Absatzkanälen zu denken, können sie sich schlecht freimachen von ihren jeweiligen Erfahrungshorizonten und beurteilen sämtliche neuen Konzepte immer zuerst einmal durch die Brille ihres bestehenden Geschäftsmodells.
Die Blindheit für neue Geschäftsmodelle ist nicht nur im Handel ein Problem. Weitaus dramatischer ist die Lage inzwischen in der Medien- und Musikindustrie: Erst versuchen die Manager, dem Internet ihr traditionelles Denkmodell überzustülpen - und wundern sich dann über "lausige Pennies".
Der langjährige Musikmanager und heutige Unternehmer Tim Renner hat den notwendigen Umdenkprozess kürzlich wieder einmal sehr prägnant beschrieben:
Was für CDs, Zeitungen und Magazine gilt, trifft den Katalog nicht minder hart.
Die große Herausforderung speziell für Manager im Versandhandel ist es, endlich das Katalog- bzw. das Ladenmodell aus dem Kopf zu bekommen. Erst dann wären sie einigermassen offen für neue Geschäftsmodelle.
Nachtrag: Clay Shirky setzt noch einen drauf und argumentiert, dass auf Dauer auch die faulsten Ausreden nichts nützen ("Newspapers and Thinking of the Unthinkable"). Gerade wenn neue Geschäftsmodelle langsamer entstehen als bestehende implodieren, müsste die Devise lauten "Experimentieren, experimentieren, experimentieren." (via)
Frühere Beiträge zum Thema:
- E-Commerce für Fortgeschrittene: Shopsysteme mit Zukunft
- Was war, was wird: Der Strukturwandel 2008-09
- Buchtipp: Von sozialen und technischen Innovationen
Kategorien:Crowdsourcing, Exciting Commerce, Live Shopping, Social Commerce, Vente Privee, Woot
Mit Veränderung tut man sich m.E. als Mensch immer schwer. Denn zu allererst vergleichen wir das Neue mit dem Alten und versuchen es als besser oder schlechter einzuordnen – Dan Ariely schreibt dazu in seinem Buch “Predictably Irrational” sehr ausführlich und anschaulich über ein paar Experimente und nennt u.a. den Begriff “anchoring”. Wenn wir einmal einen Anker gesetzt haben, dann wird dieser in Zukunft immer die Messlatte für Entscheidungen sein. Sie das der Preis eines Produktes oder der Urlaubsort oder eben auch Geschäftsmodelle. Der Anker wird im Übrigen meist dann gesetzt, wenn dazu eine Handlung oder Auseinandersetzung stattgefunden hat (ein Kauf, die Entscheidung für einen Partner, ein Gespräch über ein Auto, dessen Preis man beim Abendessen mit einem Freund diskutiert, etc.). Natürlich hat ein Geschäftsmodell mehr Facetten als z.B. der Preis eines Autos, aber die Psychologie dahinter scheint immer wieder die gleiche zu sein. Nur wer die Fähigkeit hat, sich von seinem Anker (zumindest kurzfristig oder in Teilen) zu lösen, wird echte Veränderung zulassen und meistens damit auch gleichzeitig herbeiführen.
ich denke die ganze digitalen einkaufsmöglichkeiten sind noch nicht in dem sinne marktreif, d.h. es wird von einem grossen teil der bevölkerung noch nicht angenommen.
Klapp, Klapp. Nichts hinzuzufügen weil: vollkommen richtig. Nur: auf der anderen Seite gibt es auch eine ganze Menge hochgejubelter Geschäftsmodelle die leider nie profitable werden. Diese Unterscheidung hinzubekommen ist die große Kunst.
Beste Grüße PP
@Jochen, wenn Du wüstest, wie recht Du hast…
Wie wahr! Gerade als Gründer wird man immer wieder versucht mit seinem Geschäftsmodell in bestehend Strukturen gepresst zu werden. Leider fördert die allgemeine Lage nicht gerade den Mut neue Modelle auszuprobieren!
@shibumi: Ich habe in der Grafik mit den neuen Geschaeftsmodellen bewusst nur die profitablen aufgefuehrt. Vente-Privee, Threadless & Co. leben von ihren Modellen ganz gut.
@pilleepallee: Wenn es wie in vielen dieser Faelle keine Best Cases/Erfahrungswerte gibt (bzw. geben kann), hilft einfach nur testen, testen, testen. Aber jedes neue Modell von Beginn an ueberspektisch zu beaeugen, hilft genauso wenig weiter.